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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 6.1907

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Nr. 6
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Lehmann, Arthur: Architektur auf der Jubiläumsausstellung Mannheim 1907
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Architektur auf der Jubiläumsausstellung Mannheim 1907

macht, bestimmt ist. Diesem Mangel kommt aller-
dings die ideelle Anschauung des Künstlers ent-
gegen, der es mit seiner Freiheit für unvereinbar
hält, sich die geringsten Schranken aufzuerlegen
und andere Rücksichten gelten zu lassen, als die
seines künstlerischen Einfalls. Er glaubt nur dann
sein Bestes schaffen zu können, wenn er die Be-
stimmung seines Werkes dem Zufall überlässt.*) Es
war deshalb einer der fruchtbringendsten Gedanken
des Leiters der Kunstausstellung, des Professors
Ludwig Dill-Karlsruhe, bei den zur Schau kom-
menden Gemälden und Plastiken die grösstmöglichste
Wirkung im Raum zu erstreben. Jeder Saal
war nun einem Künstler, Maler, Bildhauer oder
Architekten zur völlig freien selbständigen Aus-
schmückung überlassen, und jeder Künstler wählte
für seinen Raum, unabhängig von seinem Nach-
barn einen Hauptfarbton, so z. B. der eine wein-
rot, der andere schwarz, ein dritter hellgelb, ein
vierter tiefgrün, weiss u. s. w. Allerdings ergibt
sich auf diese Weise und auch durch den Mangel
der architektonischen Oberleitung ein sehr buntes
Bild, das vor allem durch die unvermittelte, will-
kürliche Aneinanderreihung sehr unruhig, ja fast
unangenehm wirkt. Es fehlen in dieser Ausstellung
fast bei allen Räumen die ästhetisch unbedingt
erforderlichen Verbindungen, die durch Bogen-
gänge, vertiefte und entsprechende überdachte
Türlaibungen, Nischen u. dergl. leicht zu erreichen
gewesen wären, und die zudem auf früheren Aus-
stellungen schon zu finden waren. Immerhin aber
wurde durch die Abwechslung der Farbe ein neues
Moment für die Bildwirkung geschaffen, indem
bei der Auswahl der eingesandten Werke nicht
immer nur der absolut künstlerische Wert mass-
gebend war, sondern auch die Harmonie mit dem
Gesamtton des einen oder anderen Raumes. Zum
erstenmal ist vielleicht hiermit öffentlich die wich-
tige Frage zur Diskussion gestellt worden: Kann
ich dies oder jenes Bild in mein Haus hängen?
Kann ich das reine Kunstwerk in Beziehung zu
meiner Wohnung bringen? Denn würde das
Kunstwerk das Behagen stören, so wäre es schlechter-
dings im Hause verfehlt. Im Museum ist das Bild
der Hauptzweck, wegen dessen man den Raum,
der es beherbergt, betritt. Diese Ausstellung lehrt
uns deutlich den Unterschied, und es ist nicht
schwer zu erkennen, welche Räume von Archi-
tekten im Sinne einer allgemeinen Bezugsfertig-
keit und welche von Malern oder Bildhauern als
Hintergrund ihrer eigenen Werke ausgeschmückt
worden sind. V
*) Meier-Graefe, Entwicklungsgeschichte der Modernen Kunst,
Verlag Julius Hoffmann-Stuttgart.

V Professor Billings Räume verraten sofort den
plastisch denkenden Architekten. Wohl ist stets
ein bestimmter Farbton, ein ausgesprochener
Stimmungscharakter zugrunde gelegt — eine grosse
Anzahl Räume entstammen seinem Entwürfe —,
aber man fühlt die Lust an der Form, nicht nur
die Freude an der Fläche, wie sie etwa ein
Otto Hierl-Deronco geniesst, ja man möchte
fast sagen, dass Billing in der Ausarbeitung seiner
Details in plastischen Linien schwelgt, wie so
manche künstlich vertiefte Türumrahmung, die
aufgetragene Vertäfelung, die graziösen, leicht ge-
schwungenen Profile seiner Möbel, die duftigen
Drahtkompositionen seiner Beleuchtungskörper, so
manches Deckenornament zeigen. Stets aber ist
Billings Kunst von Vornehmheit und grossem Zug
erfüllt, wenn es gilt, gewaltige Dimensionen zu
überwinden. Im niedrigen, engen Zimmer drängen
sich fast die üppigen Formen, im hohen Kuppel-
raum des Vestibüls weiss er die Masse mit sicherer
Ruhe zu zügeln, weiss er die stärksten Farben-
gegensätze des hellroten Skyros-Marmors mit dem
dunklen weichen Glanz des Estralanda-Materials
zu vereinen. Kühn wölbt sich die bogige Decke,
eigenartig, aber im Interesse einer dispersierenden
Beleuchtung wohl durchdacht, schneiden die
Fenster in die Wölbung, sammeln ihr Licht gleich-
sam wieder in dem grossen blauen Kristall des
mächtigen Beleuchtungskörpers. Was in der Ge-
staltung der Fassaden so trefflich gelungen ist, die
Loslösung des Mystisch-Künstlerischen vom My-
stisch-Sakralen; in der Stimmung des Kuppelraumes
kommt diese Selbständigkeit der neuen Kunst noch
deutlicher zum Ausdruck. Ernst und wuchtig im
Sinne der Materialerkenntnis, aber frei von er-
drückenden Gefühlen einer übersinnlichen Kraft
gibt sich der mächtige Eindruck, in dem jede auch
noch so ungewohnte Form, jedes Kunstwerk sich
ungezwungen einfügt. Als Treppenhaus die ganze
Anlage zentral beherrschend, ergibt gleichzeitig
die balkonartige Ausbildung nach dem Oberlicht-
saal, der reizende intime Umgang und das Podest
die einfachste Ueberleitung zu den einzelnen sich
anschliessenden Sälen. Billings eigenartige Hand-
schrift beweist hierdurch am besten ihren univer-
sellen Charakter. V
V Professor Peter Behrens steht isolierter in
seinem ganzen Kunstschaffen. Die Gesetzmässig-
keit der Architektur verwandelt sich bei ihm zum
strengsten Rhythmus, der in grossen klaren Akkor-
den einherschreitet und Bild und Figur in seine
Ordnung zwingt. Jede fremde Form würde einen
Missklang erzeugen. Die gross-gesehenen Akte
eines Karl Hofer, die archaistischen Plastiken
 
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