GUY DAWBER
VON HENRY F. W. GANZ-LONDON
Uns modernen Architekten fehlt nur zu häufig
die Gelegenheit, unsere künstlerische Eigenart
zu zeigen. Denn das verlangt Zeit und die haben
wir nur mehr selten. Darin liegt die grösste Schwierig-
keit, die dem Architekten des zwanzigsten Jahr-
hunderts entgegensteht. Was dem Bauherrn heut-
zutage am meisten am Herzen liegt, ist weniger das
Künstlerische als vielmehr der Plan, den der Archi-
tekt ausarbeitet, um die verlangten Räume und Ein-
richtungen unterzubringen. Nach der architekto-
nischen Seite des Entwurfes frägt er kaum. In der
Regel sind ohne Zeitverlust die Bauskizzen einzu-
reichen und da selbst hiezu häufig die Müsse fehlt,
werden sie in den meisten Fällen von den Angestellten
nach früher ausgearbeiteten Plänen ausgeführt, so-
dass die Hauptaufgabe des künstlerischen Entwurfes
sich auf spätere Ausschmückung der einmal fest-
gelegten Grundzüge erstreckt. Und selbst diese
beschränkt sich nicht selten auf die Auswahl geeig-
neter Dinge aus zweiter Hand, die in den richtigen
Formen und Verhältnissen die gegebenen Flächen
mit so viel Schönheit auszustatten haben, als sie
eben zu geben vermögen. V
V Zu einem wirklich künstlerischen Bau ist reif-
liche Ueberlegung erforderlich, und da hierzu keine
Gelegenheit gegeben wird, muss man sich wundern,
wie es trotzdem möglich wird, dass oft so gute
Arbeiten entstehen. Eine Forderung ist dann aller-
dings niemals übersehen worden: das Abwägen der
Massen gegeneinander, wodurch allein schon dem
Gebäude Würde und Grazie verliehen werden.
Worin bestand der Stil des 19. Jahrhunderts eigent-
lich, wenn nicht darin? V
V Unserer eigenen Zeit stehen wir noch zu nahe,
um sagen zu können, ob unsere Arbeiten die Grund-
lagen eines Stils für das 20. Jahrhundert bilden
werden. In England beherrschten den volkstüm-
lichen Geschmack eine Zeitlang die malerischen
Formen des Mittelalters und der elisabethischen
und jakobanischen Zeit, die ihre Blüte hatten, ehe
Inigo Jones den italienischen, halb klassischen Stil
einführte. Dabei haben sich unsere neueren Bau-
systeme entwickelt, ohne indessen die Kraft zu
haben, eine eigene Sprache zu finden. Wir gaben
und geben heute noch den Gebäuden der Geschäfts-
viertel vielfach äusserlich den Anschein steinernen
Aufbaues, der mit den rechnerisch erzielten,
leichten Metall konstruktionen der Verkaufsgeschosse,
dem Eisenbetongerippe des Innern in Widerspruch
steht. Am fühlbarsten macht sich dieser Zwiespalt
in der Schwere des Steinmaterials bemerkbar, das
auf den Schaufenstern moderner Kaufhäuser lastet.
V Die gleichzeitige künstlerische und technische
Behandlung eines Gebäudes ist unserer Gewohnheit
so fremd geworden, dass nur gründliches Nach-
denken zu einem wirklich guten Entwurf führen
kann. In den Arbeiten Guy Dawbers, so z. B. in
dem Gebäude für die London & Lancashire-Feuer-
Versicherung finden wir diese Einheitlichkeit, die
in den meisten Bauwerken unserer Tage so selten
ist. Aber sein Bestes hat Dawber vielleicht auf
dem Gebiete der Einfamilienhäuser geschaffen.
Seine Landhäuser, Villen und Jagdschlösschen ge-
hören zu den reifsten Arbeiten, die in England in
den letzten Jahren entstanden sind und es lässt
sich nicht leugnen, dass seine Eigenart und sein
starkes Stilgefühl einen bedeutenden Einfluss auf
den neuen Typus des englischen Eigenhauses aus-
geübt hat. Obwohl Dawber seinem ganzen Wesen
nach durchaus modern ist, und seine Originalität
in allen Fällen wahrt, verhält er sich den historischen
Stilarten gegenüber nicht durchaus ablehnend.
Seine Hauptsorge gilt dem Grundrisse und dem
Problem der Verteilung der Massen, das er immer
in praktischer und zugleich künstlerischer Weise
zu lösen sucht. Darum erregen seine Arbeiten
schon beim ersten Anblick die Aufmerksamkeit,
nicht allein durch die wohl abgewogenen Verhält-
nisse, die den Eindruck machen, aus sich selbst
herausgewachsen zu sein, sondern auch durch die
vollkommene Harmonie mit der umgebenden Land-
schaft, die er seinen Landhäusern zu geben weiss.
Auch der Anlage der Gärten widmet er grosse
Sorgfalt, was besonders gerechtfertigt ist, als auf
diesem Gebiete einmal gemachte Fehler nur mit
grossen Kosten wieder verbessert werden können.
V Ein Hauptzug seiner Bauten ist eine gesunde
Einfachheit, die alle Uebertreibungen vermeidet.
Dieses Masshalten mag Dawber sich durch das
Umbauen und Vergrössern alter Landhäuser ange-
eignet haben, wobei er immer eine glückliche Hand
gezeigt hat. Seine Behandlung der Schmuckformen
zielt darauf hin, dass kein Raum oder auch nur
Teile eines Raumes aus dem Rahmen fallen; ge-
waltsame Gegensätze in den Farben oder den
formalen Einzelheiten vermeidet er in allen Fällen.
Er hat begriffen, dass von der Wechselwirkung
von Mauer und Dach, und den Proportionen der
Fensterausschnitte die Hauptschönheit eines Hauses
abhängt. y
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