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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 8.1909

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Nr. 8
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Fayans, Stefan: Baukunst und Volk, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.24105#0459
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K* *x. K>t;y>i va :
rJ MODERNE BAUFORMEN
t J MONATSHEFTE FÜR ARCHITEKTUR
8

BAUKUNST UND VOLK
VON ARCHITEKT DR. TECH. STEFAN FAYANS-WIEN

Die Zeiten der unmittelbaren, geistigen Fühlung
zwischen der volkstümlichen Empfindungweise
und der schaffenden Kraft des Baukünstlers sind
längst vorüber. Ein Schleier ist über das klassische
Altertum gefallen, in dem das Volk und der Künstler
ein Streben, ein Denken gewesen sind, in dem die
Volksseele an den Offenbarungen der schöpferischen
Phantasie der Künstlerwelt lebendigen Anteil ge-
nommen hat. V
V Aus dem Subjektivismus und zwar dem subjek-
tiven Freiheitsgefühl eines jeden Baukünstlers der
hellenischen Zeit leuchtete stets die Verantwortlich-
keit desselben gegenüber dem Volke hervor, welche
der Schaffenskraft des Künstlers streng gesetz-
mässige Schranken auferlegte. Und mit dem Mo-
mente, wo sich derselbe dieser seiner Verantwort-
lichkeit bewusst ward, brachte er seine objektive
Vollkommenheit vollends zur Geltung, •— diese
krönte das Werk und zog die Bande zwischen der
Kunst und dem Volke enger. In allen Phasen ihrer
Entwicklung sei es zu Zeiten ihres einfachen
Ernstes, der späteren Weichheit und heiteren
Lieblichkeit, oder auch des zuletzt schreitenden
Reichtums an Schmuckformen — bewahrte die
hellenische Baukunst, die in ihre Gewalt alle bil-
denden Künste einzuschliessen vermochte, den
echtesten Ausdruck der geistigen Kulturihres Volkes.
Sie basierte auf den überlieferten Traditionen der
vorantiken Zeiten und deswegen war sie allgemein
verständlich. Sie bezauberte das Volk durch ihre
geschlossene, würdige Erscheinung, durch das edle
Gleichmass und die logische Schönheit ihrer Formen-
sprache, durch den frohen Farbensinn und die
Materialgerechtigkeit und deswegen ist sie ihrem
Volke ans Herz gewachsen. V
V Diese dem Volksempfinden so nahestehende
Kunst bewahrte ihre Lebensfähigkeit auch nach
dem politischen Zusammenbruche der hellenischen
Nation und lebte noch als Ideal in der späteren
Kunstwelt weiter. So hatte das römische Kaiser-

reich an die späthellenische Periode — die gereifte
attische Kunst angeknüpft. Da jedoch letztere die
kraftstrotzende nationalitalische Bauweise immer
mehr verleugnete, so geschah es auch, dass trotz
des gewaltigen Aufschwunges, den die römische
Baukunst der Kaiserzeit zu verzeichnen hatte, sie
alsbald den ganzen fremdländischen, wenn auch
verwandten Formenschatz aufgebraucht hatte und
in ihrem Inhalt auf die orientalischen Ueberliefe-
rungen zurückgreifen musste. Sie ging mit Leichtig-
keit über ihre eigene Entstehungsgeschichte hinweg,
indem sie die Tatsache der Entwicklung des alt-
italischen Hauses aus dem Bauernhause übersah,
sie ging zu weit, um in dem Volksboden noch
neue Wurzeln fassen zu können und so wunderbar
ihr Aufschwung auch gewesen, so rasch ging leider
ihre organische Einheit verloren. Die Baugebilde
jedoch, die lediglich im Interesse der grossen Idee
der Volkswohlfahrt errichtet wurden — diese Ge-
bilde bewirkten es, dass zu allen Zeiten des sozialen
Aufschwunges der späteren christlichen Nationen,
den breiten Volksmassen eine Kunst geboten werden
konnte, die einen Grundpfeiler an dem nationalen
Kulturwerke bedeutete. V
V In der Reihenfolge der verschiedenen Stilwand-
lungen in der Baukunst ist eine jede derselben als
die geistig formale Verkörperung einer zum Ab-
schluss gebrachten, oder wenigstens schon gereiften
Kulturepoche zu betrachten. In der Kraft des
logischen Zusammenhanges dieser beiden bedingen-
den und bedingten Momente ist auch die grössere
oder geringere Lebensfähigkeit einer jeden Kunst-
periode zu erblicken. Das Einbeziehen der Ele-
mente der orientalischen Kunst in die Formen-
sprache der Baukunst des weströmischen Reiches
zu Zeiten seines Verfalls, lässt jedoch eher auf
eine Gegenerscheinung schliessen und zwar auf
das frühere Verwirklichtwerden der byzantinischen
Stilansätze, der eigentlich ein paar Jahrhunderte
später erst begründeten Kulturmacht des oströmi-

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