großen Folianten, den sie mit der Linken hält. Mit der Rechten liest sie die
Worte im Buche nach. Anna hilft mit ihrer Rechten das Buch halten.
Beide sind in Dreiviertelansicht wiedergegeben. Durch das gegenseitige Ent-
gegenneigen hat der Künstler eine geschlossene Silhouette erzielt. Bemerkenswert
ist, daß das Rot des Kleides der hl. Anna von dem blauen Futter ihres Mantels
reflektiert wird.
Links ist ein roter Vorhang mit goldener Quaste angebracht.
Der Grund ist mattgrau, eine schwachgelbe Glorie umspielt die Köpfe der beiden
Frauen und von oben fällt überirdisches Licht in weißlichen Strahlen auf sie. In
den Lüften erblickt man die Halbfiguren zweier anbetender Engel, der eine in
weiß, der andere in ein grün-gelb changierendes Gewand gekleidet. Rechts eine
goldbraune Wolke, links oben duftige Cherubinköpfe.
Links unten auf der Truhe steht ein Körbchen mit süßem Backwerk: Törtchen
und Kringeln. Einige Stücke Gebäck liegen auf der Truhe selbst. Sie sind jeden-
falls für die fleißige Schülerin bestimmt. Ein Schublädchen ist aufgezogen, darinnen
man Weißzeug erblickt. Auf dem Steinfliesenboden ruhen Hund und Katze. Rechts
endlich steht ein Körbchen mit Weißzeug, weißer Wolle und einem grünen Näh-
kissen.
Die Darstellung dieser Szene gehört zu denen, die erst im Zeitalter der Gegen-
reformation aufkamen. Pacheco nennt sie daher „pintura muy nueva“. Die theolo-
gisch-historische Rechtfertigung für die Wiedergabe dieser Szene enthält uns der
Prüfungskommissär der Malereien geistlichen Inhaltes natürlich nicht vor1).
Als früheste Darstellung dieser Art erwähnt Pacheco eine Skulptur in einer
Kapelle von Sa. Magdalena, um 1602 entstanden.
Die Entstehung unseres Gemäldes dürfte kaum ein Jahrzehnt später anzusetzen
sein, denn nach Pachecos Aussage ist das Bild des Ruelas die erste malerische
Wiedergabe der Szene gewesen. Mit der künstlerischen Lösung des Themas war
der etwas pendantische Kunstkritiker nicht zufrieden. Er nennt es „geübt in der
Farbe, jedoch nicht ohne einen gewissen Mangel an Würde" (ducho en el colorido
aunque falto en el decoro). Pacheco stieß sich an dem, was Justi eine „wunder-
liche Mischung mystischer Symbolik und häuslich vertrauter Motive" genannt hat,
an der seltsamen Vereinigung von idealistischen und naturalistischen Motiven. Das
Gemälde zeigt ein merkwürdiges Ringen zwischen Kleinkrammalerei und vollendet
künstlerischer hoher Darstellung. Man erkennt deutlich die Absicht des Künstlers:
Er wollte ein religiöses Genrebild schaffen, bei dem die Würde der Auffassung bei
allem realistischen Detailwerk gewahrt bleiben sollte. Rembrandt, Ribera und Murillo
haben später dieses Problem leichter gelöst. Eine gewisse Unausgeglichenheit zeigt
unser Bild auch in malerischer Hinsicht; kühle Töne kämpfen mit warmen.
Etwas früher als das Motiv des geistigen Unterrichtes der jungen Maria trifft
man das des praktischen, der „jungen Maria am Spinnrad" in der Malerei an. Am
frühesten meines Wissens bei Caravaggio (Rom Palazzo Spada), dann in etwas er-
weiterter Form bei Guido Reni (Spinnschule St. Petersburg Eremitage). Auch Ruelas
wird eine derartige Darstellung zugeschrieben, ein Bild im Städelschen Institut zu
Frankfurt a. M. das wohl auf einen Schüler des Meisters zurückgeht.
Von der Unausgeglichenheit, die dem Marienbild des Sevillaner Museums nach
anhaftet, ist in dem Gemälde „Die Erscheinung der Madonna an den hl. Bernhard"
nichts mehr zu spüren. Dieses treffliche Werk ist überaus licht und kühl gehalten.
(1) Arte de la Pintura II, iggff.
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Worte im Buche nach. Anna hilft mit ihrer Rechten das Buch halten.
Beide sind in Dreiviertelansicht wiedergegeben. Durch das gegenseitige Ent-
gegenneigen hat der Künstler eine geschlossene Silhouette erzielt. Bemerkenswert
ist, daß das Rot des Kleides der hl. Anna von dem blauen Futter ihres Mantels
reflektiert wird.
Links ist ein roter Vorhang mit goldener Quaste angebracht.
Der Grund ist mattgrau, eine schwachgelbe Glorie umspielt die Köpfe der beiden
Frauen und von oben fällt überirdisches Licht in weißlichen Strahlen auf sie. In
den Lüften erblickt man die Halbfiguren zweier anbetender Engel, der eine in
weiß, der andere in ein grün-gelb changierendes Gewand gekleidet. Rechts eine
goldbraune Wolke, links oben duftige Cherubinköpfe.
Links unten auf der Truhe steht ein Körbchen mit süßem Backwerk: Törtchen
und Kringeln. Einige Stücke Gebäck liegen auf der Truhe selbst. Sie sind jeden-
falls für die fleißige Schülerin bestimmt. Ein Schublädchen ist aufgezogen, darinnen
man Weißzeug erblickt. Auf dem Steinfliesenboden ruhen Hund und Katze. Rechts
endlich steht ein Körbchen mit Weißzeug, weißer Wolle und einem grünen Näh-
kissen.
Die Darstellung dieser Szene gehört zu denen, die erst im Zeitalter der Gegen-
reformation aufkamen. Pacheco nennt sie daher „pintura muy nueva“. Die theolo-
gisch-historische Rechtfertigung für die Wiedergabe dieser Szene enthält uns der
Prüfungskommissär der Malereien geistlichen Inhaltes natürlich nicht vor1).
Als früheste Darstellung dieser Art erwähnt Pacheco eine Skulptur in einer
Kapelle von Sa. Magdalena, um 1602 entstanden.
Die Entstehung unseres Gemäldes dürfte kaum ein Jahrzehnt später anzusetzen
sein, denn nach Pachecos Aussage ist das Bild des Ruelas die erste malerische
Wiedergabe der Szene gewesen. Mit der künstlerischen Lösung des Themas war
der etwas pendantische Kunstkritiker nicht zufrieden. Er nennt es „geübt in der
Farbe, jedoch nicht ohne einen gewissen Mangel an Würde" (ducho en el colorido
aunque falto en el decoro). Pacheco stieß sich an dem, was Justi eine „wunder-
liche Mischung mystischer Symbolik und häuslich vertrauter Motive" genannt hat,
an der seltsamen Vereinigung von idealistischen und naturalistischen Motiven. Das
Gemälde zeigt ein merkwürdiges Ringen zwischen Kleinkrammalerei und vollendet
künstlerischer hoher Darstellung. Man erkennt deutlich die Absicht des Künstlers:
Er wollte ein religiöses Genrebild schaffen, bei dem die Würde der Auffassung bei
allem realistischen Detailwerk gewahrt bleiben sollte. Rembrandt, Ribera und Murillo
haben später dieses Problem leichter gelöst. Eine gewisse Unausgeglichenheit zeigt
unser Bild auch in malerischer Hinsicht; kühle Töne kämpfen mit warmen.
Etwas früher als das Motiv des geistigen Unterrichtes der jungen Maria trifft
man das des praktischen, der „jungen Maria am Spinnrad" in der Malerei an. Am
frühesten meines Wissens bei Caravaggio (Rom Palazzo Spada), dann in etwas er-
weiterter Form bei Guido Reni (Spinnschule St. Petersburg Eremitage). Auch Ruelas
wird eine derartige Darstellung zugeschrieben, ein Bild im Städelschen Institut zu
Frankfurt a. M. das wohl auf einen Schüler des Meisters zurückgeht.
Von der Unausgeglichenheit, die dem Marienbild des Sevillaner Museums nach
anhaftet, ist in dem Gemälde „Die Erscheinung der Madonna an den hl. Bernhard"
nichts mehr zu spüren. Dieses treffliche Werk ist überaus licht und kühl gehalten.
(1) Arte de la Pintura II, iggff.
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