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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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REZENSIONEN .
KURT FREISE. Pieter Lastman.
Sein Leben, seine Kunst. Klinkhardt &
Biermann, Leipzig, 1911.
Wer hätte das vor etwa fünfundzwanzig Jahren
geahnt, daß wir je eine solches Buch über Rem-
brandt's Lehrer bekommen könnten?
Die Forschung schreitet doch mit Riesenschritten
voran und wir müssen die reifen Früchte dieser
Forschung dankend annehmen.
Diese Arbeit Freise's ist eine solche reife Frucht.
Mit bewunderungswertem Fleiß hat der Verfasser
alles zusammengestellt, verarbeitet, bereichert mit
neuen Funden, was wir nach und nach über Last-
man erfuhren.
Seine Lebensgeschichte liegt ziemlich klar vor
uns. Und zum ersten Mal ist sein Oeuvre zu-
sammengestellt: erstaunlich, noch an vierzig in
Sammlungen nachweisbare Bilder, und dazu über
hundert Bilder die aus Inventaren, Beschreibungen
bekannt geworden sind. Eine anständige Anzahl
dieser Bilder (oder Stiche danach) gibt Freise am
Ende seines Buches, zum Teil leider in etwas sehr
kleinem Format wieder.
Wenn man diese Abbildungen Revue passieren
läßt, muß man sich doch sagen : Wir waren dem
armen Lastman früher nicht gerecht! Wir glaubten,
Rembrandt hätte ihm nur die großen Blattpflanzen
im Vordergrund seiner Bilder abgeguckt, aber er
hat doch tiefere Eindrücke von den Arbeiten seines
gelehrten Lehrers mitgenommen.
Das sehen wir erst recht, wenn wir diese Re-
produktionen studieren. Da sieht man Rembrandt
zunächst eine freie Skizze nach Lastman's Bildern
machen, dann diese Skizze wieder für seine Bilder
verarbeiten, wobei doch das Vorbild unverkennbar
zu bemerken ist. Die Bathseba Lastman's bei
Herrn Zobielski in Petersburg und Rembrandt's
Bathseba bei Steengracht im Haag — Lastman's
Susanna des Herrn Delaroff, Rembrandt's Skizze
danach in Berlin und seine Susanna der Haager
Galerie usw.)
Es ist sehr gut, daß Freise uns diese Rembrandt-
schen Bilder neben den Lastman'schen zeigt. Es
ist immerhin ein Abgrund zwischen den trockenen
Figuren, den peinlich studierten Draperieen des
Lehrers und den Leben atmenden Weibern von
Fleisch und Blut, die von zauberhaftem Licht um-
floßen werden, des großen Schülers!
Warum Freise zuerst den sehr eingehend be-
handelten Katalog des Oeuvre gibt um S. 98 den
„künstlerischen Entwicklungsgang" folgen zulassen,

ist mir nicht recht klar. Man wird trotzdem zu-
nächst das Oeuvre überschlagen und bei S. 98
anfangen zu lesen!
Da hören wir, wer Lastman's Lehrer war, unter
welchen italienisierenden Einflüssen er noch in
Holland erzogen wurde, wie Elzheimer und seine
Manier ihn in Rom am meisten anzogen, wie er
diese seiner Begabung anpaßte, und dann in
Holland ein berühmter und gefeierter Historienmaler
wurde. Dieses alles, an der Hand der sehr aus-
führlich beschriebenen Bilder. A propos. Man
spricht immer über Elzheimer und dessen Einfluß
in Rom. Aber man vergißt, wie viel früher
Paulus Brill dort schon arbeitete und wie sehr
er zunächst den Elzheimer beeinflußt hat. Man
sehe nur einmal die kürzlich in Oud-Holland (von
Orbaan) veröffentlichten Fresken an, die Brill
malte, als Elzheimer noch lange nicht in Rom
angelangt war. Später freilich hat der jüngere
den älteren Künstler wieder beeinflußt.
M. E. hätte Freise die Beschreibungen der doch
fast alle abgebildeten Gemälde und Stiche knapper
fassen können. Ein Werk, das dem Lastman zu-
geschrieben wird und auch als solches abgebildet
ist, Diana und Aktäon (Paris, Sml. Wagenhoff-
Dolch) möchte ich ihm doch entschieden ab-
sprechen. Jedem Unbefangenen muß es auffallen,
wie sehr es aus allen anderen Reproduktionen
„herausfällt." Die andere Zeichnung, das viel
weichere, die total andere Behandlung der Dra-
perieen, weisen bestimmt auf einen anderen Künstler,
etwa Cäsar van Everdingen. (Man sehe bloß das
kostümliche, z. B. den flatternden Mantel des
Aktäon!).'
Weithin der interessanteste Teil des Buches, ist
die Erörterung der Entlehnungen, welche Rem-
brandt bei den Werken seines Lehrers machte.
Bei diesem hat er gewiß gründlich zeichnen ge-
lernt; in der Haag'schen Susanna sehen wir sogar
in den vielen Falten des sorgfältig behandelten
Hemdes etwas, das an Lastman erinnert.
Aber bei allem Tüchtigen, allem was er gekonnt,
bleibt Lastman doch ein langweiliger Meister. Als
er einmal das Rezept gut gekannt, hat er alle,
mehr oder weniger in einem Stil gemalt. Sehen
wir uns sein Hauptbild nur an: Paulus und Barna-
bas in Lystra. Wie posieren alle seine Leute!
Fast jede Figur „steht Modell." Und das gibt dem
Bilde etwas Theatralisches, Todtes bei allem Auf-
wand der Figuren. Und die bunten, wenig har-
monischen Farben erspart uns nur die farblose
Abbildung. Wie gesagt, Freise's Buch ist vor-

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