Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins — 1907-1908

DOI Artikel:
Pazaurek, Gustav Edmund: Künstlerische Besuchskarten
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7713#0062
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Künstlerische Besuchskarten.

55

die, von tüchtigen Künstlern entworfen, kleine Kunstwerke bedeuten und da-
her an Wert die schmucklosen modernen Karten, an denen der Künstler meist
nur einen bescheidenen Anteil hat, bedeutend überragen. Jedenfalls kann eine
Betrachtung der Geschichte der Besuchskarte, die noch nicht geschrieben ist,
lehrreich sein,

Vom kulturgeschichtlichen und musealtechnischen Standpunkt zählt die Be-
suchskarte zu derselben Gruppe der graphischen Künste, der auch die Ein-
ladungskarte, Geschäftskarte,* die Wunschkarte, zum Teile auch das „Ex-libris"-
Zeichen und das Verleger-Signum angehören. Alles derartige nebst anderen
alten graphischen Erzeugnissen konnte man im letzten Sommer in Paris in der
..Exposition retrospective du Papier", einer interessanten Abteilung innerhalb
des großen, wenig erfreulichen Universal-Jahrmarktes mit dem irreführenden
Namen „Exposition internationale du Livre" vereinigt sehen. Der verdienst-
volle Generalsekretär der Gesellschaft ..Le vieux papier'", Paul Flobert,**
der auch selbst hauptsächlich vom sittengeschichtlichen Standpunkt sammelt,
hatte seinen 45 Besuchskarten noch die kleine aber gewählte Kollektion von
48 Karten aus dem Besitze von Achille Bertarelli (Mailand) und einzelnes
aus anderen Sammlungen hinzugefügt, aber sich hiermit schon begnügt, ohne
die diesbezüglichen Suiten aus der Bibliotheque nationale oder aus dem Musee
Carnavalet in Paris heranzuziehen, offenbar auch deshalb, weil ihm zu wenig
Raum zur Verfügung gestellt worden war. Eine ungleich reichhaltigere Aus-
wahl bot die kürzlich abgeschlossene erste Besuchskarten-Ausstellung
im Königlichen Landesgewerbemuseum in Stuttgart, die sich in
erster Linie auf die wertvolle Sammlung Dr. Albert Figdor in Wien stützte,
zu welcher noch weitere Beiträge aus dem Berliner Kunstgewerbemuseum, aus
dem Besitze von Baron Carlshausen (Stuttgart), aus dem Antiquariat Jacques
Rosenthal in München, sowie aus Stuttgarter Privatbesitz hinzugekommen waren.
Dieser Ausstellung ist auch zum großen Teile unser Illustrationsmaterial ent-
nommen, zum Unterschied von den oben erwähnten Connoisseur-Artikeln, die
sich vornehmlich auf die Spezialsammlung des Arztes Dr. Piccini in Rom
stützen. Unsere größeren Museen und Kupferstichkabinette haben sich mit
diesen ..Kleinigkeiten" im allgemeinen noch viel zu wenig befaßt; trotzdem
wird man in einigen derselben, z. B. im Museo civico Correr in Venedig oder
in der Gelegenheitsblättersammlung des Hamburgischen Museums für Kunst
und Gewerbe verschiedene interessante Blättchen finden können.

Die Besuchskarten sind ohne Zweifel zuerst in Frankreich aufgetaucht, wes-
halb sich auch ihr französischer Name überall so zähe eingebürgert hat. Ihre
Ahnherrn sollen zuerst als Improvisationen
auf der Kehrseite von Spielkarten gedruckt
gewesen sein.*** Mit der immer weiteren
Ausbreitung französischer, höfischer Sitten
kamen auch die ..Biletsde visite'* in die anderen

* Vergleiche Leon Maillard: Menüs et Programmes
illustres (invitations billets de faire part cartesd'adresse —
petites estampes), Paris (G. Boudet) 1897.

** Flobert hat auch den inhaltsreichen „Catalogue"
dieser Ausstellung verfaßt, der nur in 300 Exemplaren
in Lille (Lefebvre-Ducrocq) gedruckt wurde.

*** Solche Karten, aber schon aus dem 18. Jahrhundert,
bildet der Katalog von Flobert auf Seite 37 ab.
 
Annotationen