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Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins — 1907-1908

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Pazaurek, Gustav Edmund: Künstlerische Besuchskarten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7713#0079
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72

Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins.

Abb. 70.

temberl816 im Hause des hamburgischen Senators
Westphalen abgegeben hat (Abb. 73).*

Gegenüber einer so reichen, vielfach wirklich
künstlerischen Ausstattung in der Zeit des Klassi-
zismus bedeuten die folgenden Jahrzehnte einen
sehr jähen Rückfall in die völlige Bedeutungs-
losigkeit, die schon in den zwanziger Jahren des
19. Jahrhunderts mit der Mode des Glanz-
papiers — aus Bleiweiß und Fischleim ein-
setzte; Lorget in Frankfurt wird das zweifelhafte
Verdienst dieser Neueinführung zugeschrieben.
Zu den wenigen, künstlerisch interessanten, auf
Glanzpapier gedruckten Besuchskarten gehört in
erster Reihe die von Adolf Menzel 1836 für den
Regimentsarzt Dr. Puhlmann gezeichnete, große,
humorvolle und inhaltsschwere Karte, nebenbei
bemerkt, heute eine große Seltenheit (Abb. 74; Hamburgisches Museum für
Kunst und Gewerbe). Aber solche Stücke sind Ausnahmen. In der Regel
beschränkt sich der Stich immer mehr auf den kalligraphierten Namen, des-
gleichen die Prägung auf die Druckschrift des Namens. Dann folgt die Litho-
graphie, die ebenfalls nur den Kalligraphen, nicht den Kunstzeichner beschäftigt.
Und das Ende sind die traurigen Surrogate für Steindruck, nämlich Schreib-
typen-Buchdruck und gar für Buchdruck der violette Gummistempelabdruck!

Damit im Zusammenhange steht die Behandlung, die die Besuchskarte einst
erfuhr und heute erfährt. Früher noch Saphir spricht 1833 davon
wurde das nette Kunstblättchen hinter den Spiegelrahmen gesteckt, und man
freute sich eine Zeitlang des niedlichen Schmuckes. Denn - - wie die Redens-
art noch heute sagt etwas Schlechtes „steckt man sich nicht hinter den
Spiegel". Heute dagegen verstauben die Karten in den Vorzimmerschalen,
wenn sie nicht gleich im abgekürzten Verfahren über die Durchgangsstation
„Papierkorb" ins Feuer wandern. — Gute alte Blättchen, die bereits rar
geworden sind, beginnen allmählich Gegenstand des Sammeleifers zu werden,
was leicht begreiflich ist. Neben den künstlerischen Momenten kommen ja
auch kulturgeschichtliche in Betracht, die manche interessanten Aufschlüsse

und zwar nicht nur über Adressen
von Malern, Kupferstechern, Silber-
arbeitern usw. geben können.

Die vielfachen, intimen Reize von
alten Besuchskarten konnte man auf
der ersten diesbezüglichen Ausstel-
lung im Stuttgarter Landes-Gewerbe-

r

i

Abb. 71.

* Im Hamburgischen Museum für Kunst und
Gewerbe wird zugleich auch die Besuchskarte
des Adjutanten Blüchers, nämlich „Obrist-
Lieutenant Graf von Nostitz", ebenfalls 1816
beim Senator Westphalen abgegeben, aufbe-
wahrt; aber dieses Blättchen ist nur in ein-
fachem, zweizeiligem Kursiv-Buchdruck her-
gestellt, ohne Rändchen, überhaupt ohne jedes
Schmuckmotiv.
 
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