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Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins — 1907-1908

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Scherer, Christian: Die Kunst der Elfenbeinschnitzerei: aus dem Vortrag des Herrn Prof. Dr. Scherer (Braunschweig) im Württembergischen Kunstgewerbeverein am 27. November 1907
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https://doi.org/10.11588/diglit.7713#0090
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Die Kunst der Elfenbeinschnitzerei.

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besonders wohl deshalb, weil damals das richtige Verständnis für das Material und
seine Eigenschaften fehlte und dieses gegenüber anderen Materialien überhaupt mehr
in den Hintergrund trat. Erst die Spätrenaissance und die Barockzeit brachten
es wieder zu hohen Ehren, so daß diese Periode (1630 1750) als die zweite große
Blüteperiode der Elfenbeinschnitzkunst mit Recht betrachtet werden kann, in der
italienische, vlämische, französische und vor allem deutsche Meister in der Hervor-
bringung zahlreicher Arbeiten wetteiferten; dabei treten jetzt, entsprechend der Rich-
tung der Zeit, die religiösen Gegenstände zurück — eine Ausnahme macht allein die
Figur des Gekreuzigten—, dagegen solche weltlichen Charakters in den Vorder-
grund. Unter den deutschen Elfenbeinschnitzern, die jetzt an Zahl wie an Kunstwert
ihrer Leistungen an erster Stelle stehen, waren die bedeutendsten Angermaier, Elhafen,
Permoser, Däbeler, Kern, Petel, Faistenberger, Rauchmiller, Steinel und Michael
Mau eher, der Hauptvertreter einer kleinen Gruppe schwäbischer Meister, die
in den Städten Geislingen, wo vielleicht der älteste Sitz der Elfenbeinschnitzerei und
-Drechslerei auf deutschem Boden zu suchen ist, ferner in Stuttgart, Ulm, Calw(?) und
Gmünd tätig waren. Maucher ist u. a. der Verfertiger von Prachtgewehren mit Elfen-
beineinlagen sowie von wundervollen Jagdschüsseln und Kannen, von denen sich noch
mehrere erhalten haben. Von deutschen und vlämischen Meistern stammen auch die
ebenfalls noch zahlreich vorhandenen Humpen und Pokale, während die ge-
drechselten Arbeiten dieser Art besonders in Nürnberg durch die Familie Zick an-
gefertigt wurden. In Nürnberg vor allem, daneben freilich auch in anderen Städten,
entstanden auch viele jener anatomischen Gegenstände und der damals so sehr beliebten
mikrotechnischen Kunstarbeiten in Elfenbein, die von einer staunenswerten Ge-
duld und Geschicklichkeit ihrer Urheber zeugten. Diese und ähnliche Spielereien
sowie die zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts von Troger und seinen Nachahmern
angefertigten Elfenbeinfiguren mit Gewändern aus dem braunen Holz der Zuckertanne,
besonders Zigeuner- und Bettlergestalten, bezeichnen die letzte Phase in der Entwick-
lung der Elfenbeinplastik der Barockzeit, die dann im ersten Drittel des achtzehnten
Jahrhunderts, unter dem Einfluß des jetzt aufkommenden Porzellans, ihrem Verfalle
rasch entgegeneilt. So blieb das Elfenbein in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts
im wesentlichen nur auf kleinere Gegenstände des Hauses und der Toilette, wie
Fächer, Stockgriffe, Dosen, Tabaksraspen usw., beschränkt und ähnlicher Art waren
auch die Sachen, die im neunzehnten Jahrhundert, vor allem in Dieppe, daneben
auch in Geislingen und Erbach, zum Teil auf dem Wege der Hausindustrie, für den
Markt angefertigt wurden.

Erst neuerdings ist ein Umschwung zum Besseren eingetreten, der wohl in
erster Linie auf die in den letzten Jahren an verschiedenen Orten veranstalteten
Elfenbeinausstellungen, besonders auf die 1 897 in Brüssel veranstaltete, zurückzuführen
ist. Dank der Freigebigkeit des Königs Leopold, der den Künstlern das kostbare
Elfenbeinmaterial des Kongo unentgeltlich zur Verfügung stellte, entstanden damals
von der Hand der angesehensten Bildhauer Belgiens eine Reihe kostbarer Werke,
bei denen auch zum ersten Male wieder in größerem Maßstabe andere Materialien
wie Silber, Gold, Edelsteine, Marmor usw. verwendet wurden. Auf diesem Wege
ist die belgische Elfenbeinschnitzkunst erfolgreich weitergeschritten, wie u. a. die Ar-
beiten beweisen, die in den letzten Jahren aus den Brüsseler Werkstätten der Brüder
Wolfers, Hoosemanns u.a. hervorgegangen sind. Auch in Frankreich wird das
Elfenbein neuerdings wieder häufiger verarbeitet, zunächst in Verbindung mit der
Kunst des Goldschmieds und Juweliers (Lalique, Falize, Vever), dann aber auch
seitens der Bildhauer in Form selbständiger kleiner Kunstwerke in der Art jener
belgischen, jedoch mit einem Stich mehr ins Raffinierte und Pikante (Riviere-Theodore,
Lami, J. Dampt). Bei uns in Deutschland hat sich dagegen dieser Zweig der
modernen Kabinettsplastik bis jetzt noch wenig Eingang verschafft. Unsere Bildhauer
halten sich im allgemeinen noch fern davon und nur wenige, darunter vor allem
A. Levin-Funcke, verwenden auch das Elfenbein häufiger zu kleinplastischen Ar-
beiten. Mehr dagegen wird es in der angewandten Kunst verarbeitet, wo es besonders
wieder in Verbindving mit der Kunst des Goldschmiedes begegnet, in der es wohl über-
haupt noch eine wichtigere Rolle zu spielen berufen sein dürfte. Aber auch der Möbel-
künstler wird, wie u. a. ein Notenschrank im Landesgewerbemuseum beweist, der mit
 
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