Eine neu aufgefundene vorromanischc Skulptur aus dem Rheingau.
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Vordergrund tritt und in dem die in erster Linie der Merowingerzeit eigene
Tendenz zur möglichsten Ausfüllung der Fläche noch so stark hervorsticht wie
hier. Die in Betracht kommenden romanischen Türstürze und Bogenfelder
zeichnen sich vielmehr geradezu durch Spärlichkeit der Flächenfüllung aus. Da
es wohl ausgeschlossen ist, dass der Stein noch der Merowingerzeit angehören
könnte, bleibt uns also nur die karolingische Epoche.
Da wird es sich denn nun fragen, ob historische Anhaltspunkte zu ge-
winnen sind. In seiner kürzlich in Neubearbeitung erschienenen lesenswerten
Geschichte des Rheingaus (1913) kennt Richter nur zwei alte Pfarrkirchen im
Rheingau, die von Winkel bezw. Ostrich, deren Bestehen schon für das
8. Jahrhundert zu erschliessen ist und die zuerst im 10. Jahrhundert genannte
von Eltville. Doch wurde gelegentlich der Vorführung des Geisenheimer
Steines im Nassauischen Altertumsverein von den anwesenden Historikern hervor-
gehoben, dass äusser den genannten Pfarrkirchen recht wohl auch an anderen
Orten des Rheingaus schon frühzeitig Kapellen bestanden haben können, die
uns urkundlich nicht bezeugt sind. Sicheres wird sich freilich nicht ermitteln
lassen. Die Kirche von Bierstadt mit ihrem wohl ungefähr gleichzeitigen
Türsturz wird bereits 927 als vorhanden erwähnt; auch bezüglich des grauen
Hauses in Winkel neigt man heute dazu, es in karolingische Zeit zu setzen
(Plath, Nass. Mitteil. 1904/05, S. 88ff.; Eichholz, Das älteste deutsche Wohn-
haus; Studien z. deutschen Kunstgeschichte, Heft 84, 1907; für jüngeren Ansatz:
Luthmer, Bau- u. Kunstdenkmäler d. Rheingaus, 1902, 222 f.). So würde also
auch die Annahme einer Kapelle in Geisenheim oder der nächsten Nachbar-
schaft für die ausgehende Karolingerzeit kaum auf Schwierigkeiten stossen.
Erweist sich unser Ansatz als richtig, so würden wir es bei unserem Geisen-
heimer Türsturz mit der ältesten bisher bekannten deutschen Kreuzigungsdar-
stellung in Stein zu tun haben.
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Vordergrund tritt und in dem die in erster Linie der Merowingerzeit eigene
Tendenz zur möglichsten Ausfüllung der Fläche noch so stark hervorsticht wie
hier. Die in Betracht kommenden romanischen Türstürze und Bogenfelder
zeichnen sich vielmehr geradezu durch Spärlichkeit der Flächenfüllung aus. Da
es wohl ausgeschlossen ist, dass der Stein noch der Merowingerzeit angehören
könnte, bleibt uns also nur die karolingische Epoche.
Da wird es sich denn nun fragen, ob historische Anhaltspunkte zu ge-
winnen sind. In seiner kürzlich in Neubearbeitung erschienenen lesenswerten
Geschichte des Rheingaus (1913) kennt Richter nur zwei alte Pfarrkirchen im
Rheingau, die von Winkel bezw. Ostrich, deren Bestehen schon für das
8. Jahrhundert zu erschliessen ist und die zuerst im 10. Jahrhundert genannte
von Eltville. Doch wurde gelegentlich der Vorführung des Geisenheimer
Steines im Nassauischen Altertumsverein von den anwesenden Historikern hervor-
gehoben, dass äusser den genannten Pfarrkirchen recht wohl auch an anderen
Orten des Rheingaus schon frühzeitig Kapellen bestanden haben können, die
uns urkundlich nicht bezeugt sind. Sicheres wird sich freilich nicht ermitteln
lassen. Die Kirche von Bierstadt mit ihrem wohl ungefähr gleichzeitigen
Türsturz wird bereits 927 als vorhanden erwähnt; auch bezüglich des grauen
Hauses in Winkel neigt man heute dazu, es in karolingische Zeit zu setzen
(Plath, Nass. Mitteil. 1904/05, S. 88ff.; Eichholz, Das älteste deutsche Wohn-
haus; Studien z. deutschen Kunstgeschichte, Heft 84, 1907; für jüngeren Ansatz:
Luthmer, Bau- u. Kunstdenkmäler d. Rheingaus, 1902, 222 f.). So würde also
auch die Annahme einer Kapelle in Geisenheim oder der nächsten Nachbar-
schaft für die ausgehende Karolingerzeit kaum auf Schwierigkeiten stossen.
Erweist sich unser Ansatz als richtig, so würden wir es bei unserem Geisen-
heimer Türsturz mit der ältesten bisher bekannten deutschen Kreuzigungsdar-
stellung in Stein zu tun haben.