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Neumann, Wilhelm Anton; Bader, Friedrich Wilhelm [Ill.]; Deckers, Peter [Ill.]
Der Reliquienschatz des Hauses Braunschweig-Lüneburg — Wien, 1891

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https://doi.org/10.11588/diglit.19254#0079
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(Liber Pontificalis I, p. 176.) Mit all diesen Hängekreuzen haben die drei kleinen Kreuzchen unseres Schatzes
nichts zu thun, sie waren wahrscheinlich ursprünglich Brustkreuze, an einem Bande auf der Brust zu tragen,
wie es heute noch Brauch ist; erst als sie nach S. Blasien geschenkt wurden, erhielten zwei derselben kurze
Kettchen, mit denen sie auf dem Altar befestigt wurden.

Als der S. Blasiendom begründet wurde, war die Zeit der mit Kronen combinirten Kreuze
ziemlich vorüber. Die Zeit der Processionskreuze vor und auf dem Altare, welche denselben Dienst zu
leisten hatten wie ehemals die Hängekreuze, war ungefähr seit dem Ende des X. Jahrhunderts ange-
brochen. Noch aus der Zeit, als die Hängekreuze in Uebung waren, ja schon aus dem Uebergange vom
IV. zum V. Jahrhundert dringt die Kunde zu uns, dass den feierlichen Processionen ein oder mehrere
Kreuze vorgetragen wurden, gerade jene, welche später mit dem Altare selbst in innige Berührung
gebracht wurden. (Vita S. Porphyrii Gazensis, AASS. Bolland. III. zum 26. Februar, p. 644.) Ein
Diakon oder Subdiakon trug das Kreuz vor, ihm folgte der Diakon mit dem Evangelienbuch (in
Braunschweig konnte in viel jüngerer Zeit die Tafel Nr. 37 mit dem Elfenbeinrelief zu analogem Zwecke
gedient haben).

Wie die Processio (ein dem römischen Kriegsdienst entlehntes Wort) manchmal mit Statio ver-
wechselt wurde, so hiessen die den Processionen vorzutragenden Kreuze auch Cruces Stationales, statio-
nariae. Das Wort Statio (Srauoüv) kommt im Sinne von „Fasten" (NtjoicOw) schon in der V. Similitudo,
§. 1, des Pastor des Hermas vor. Auch das Wort Statio ist dem Heeresleben der Römer entlehnt. Da
die Fasttage (Stationes) mit Gottesdienst begangen wurden, so wurde auf denselben dieser Name
übertragen. Der Einzug des vom Volke erwarteten Bischofs in die Stationskirche, d. h. in die am
bestimmten Tage zur Feier des Gottesdienstes ausersehene Kirche, hiess Processio. Für Rom ordnete
der Papst Gregor der Grosse die Stationes für das ganze Kirchenjahr in der Weise, wie sich diese Ordnung,
vermehrt durch spätere Verfügungen, noch heute im römischen Missale befindet. Man vereinigte sich, den
Papst an der Spitze, zu einer Procession, welche sich zu der Statio des jeweiligen Tages begab. Jetzt
existiren diese Processionen, mit Ausnahme der bekannten Bittgänge, in Rom nicht mehr; nur wird an
den Stationstagen der Gottesdienst in der jeweiligen Stationskirche mit erhöhter Pracht gefeiert.

Procession ist auch der Zug des Bischofs von der Residenz, respective von der Sacristei zum
Altar: und dieser wurde das „Stationskreuz" vorgetragen. Ursprünglich war die Stange desselben
nicht lang: ja sie hatte nicht eine grössere Länge als etwa das Kreuzscepter, welches auf den alten
Reliefs Jesus Christus in der Hand trägt, oder das Scepter der Engel (Rohault de Fleury, la Messe V,
pl. 367, 371). Kurz waren auch die Stangen griechischer Processionskreuze im X. Jahrhundert. Man
konnte die Stangen, wenn das Kreuz zu schwer war, stützen in Hülsen, welche an Riemen hingen, die
bis unter die Brust herabreichten. (Rohault de Fleury, o. c. V, pl. 405, 419.)

Unser Weifen- wie die zwei Gertrudenkreuze (Nr. 1, 2, 3) gehören zu den Processionskreuzen.
Der Eisendorn am unteren Ende beweist dies. Es ist nicht abzusehen, welchen Zwecken das Weifenkreuz
gedient haben könnte, ehe es den Dorn unten erhalten hat; wir sind überzeugt, dass es als Processions-
kreuz und zwar für eine sehr hohe Persönlichkeit gedient habe, wie denn sein Bruder in Velletri angeblich
ein Geschenk des Papstes Alexander IV. an die Domkirche von Velletri aus päpstlichem Besitze
ist. — Es ist zu beachten, dass in dem Ritus für die Salbung und Segnung der Könige immer wieder
zwei Kreuze erwähnt werden, die in der Krönungsprocession zu tragen sind. (Siehe Waitz, Formeln
der deutschen Königs- und römischen Kaiserkrönung: Abhandlungen der historisch-philologischen
Classe der königlichen Akademie von Göttingen 1873, S. 33, 70, 97.) Uebrigens wäre auch die Mög-
lichkeit vorhanden, dass diese zwei Prachtkreuze sammt ihrem als Handhabe dienenden Fusse in
feierlicher Procession von den höchsten Persönlichkeiten selbst, etwa bei einer Krönung, in der Hand
getragen wurden, wie später, als das Eine dem Dome von Braunschweig geschenkt war, dieses vom
Decane bei grossen Processionen getragen wurde. Bezeichnend hiefür ist das Dedicationsblatt im Codex
Henrici Leonis, auf welchem die dem Hause Heinrichs des Löwen und dem der Herzogin verwandten
Persönlichkeiten mit Kreuzen in den Händen gezeichnet sind. — Nur an diesem Kreuze, wie an dem sub

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