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Neumann, Wilhelm Anton; Bader, Friedrich Wilhelm [Ill.]; Deckers, Peter [Ill.]
Der Reliquienschatz des Hauses Braunschweig-Lüneburg — Wien, 1891

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https://doi.org/10.11588/diglit.19254#0280
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VI. ARME (BRACHIA).

ehr ansehnlich ist jene Gruppe unserer Reliquiarien, welche zur Aufnahme von Theilen
der Armknochen heiliger Leiber dienen. Die „Arme (Brachia)" gehören zu jenen Re-
liquiarien, deren Form durch den Inhalt gegeben ist. Diese Form der Reliquiarien
geht mindestens in die Zeiten zurück, aus denen wir Hermen haben, ja es scheint, als
habe schon die byzantinische Kunst dieselbe gekannt. So setzt Labarte Hist. I, 320
ein Reliquiar im Schatze von S. Marco in Venedig, das er für byzantinisch erklärt, ins
IX. Jahrhundert. Von da an finden wir bis weit ins XVIII. Jahrhundert in der lateinischen
Kirche die Brachia im Gebrauche. Dem XVII. Jahrhundert gehören einige Arme im
Reichenauer Münster an (S. Emmeram, S. Marina, S. Pelagia). Dem XVIII. Jahrhundert
entstammen vier Reliquiarien im Domschatze von Hildesheim (Nr. 55 und 58 des ge-
druckten Kataloges). Es dürften in manch einer katholischen Kirche noch solch junge „Brachia" sich
finden. Eine sehr alte ins X. Jahrhundert gehörige „Hand" wird in der Geschichte der Bischöfe von
Auxerre erwähnt: Gualdricus infra quoque Ecclesiae ambitum ad decus solenne unam argenteam fabricari
fecit coronam atque in honore S. Stephani unam manum auream gemmis positam et alteram in honore
S. Germani absque gemmarum ornatura: positis in ambabus ipsorum pignoribus Sanctorum simul cum
augmento aliarum reliquiarum. Labbe, Biblioth. I, p. 443. Die Pignora sanctorum sind hier die Reliquien
des h. Stephanus und Germanus. Gualdricus, Godericus stirbt 933.

Die ältesten Hände wie Arme haben sicher die Reliquien nicht allein umschlossen, sondern auch
verborgen, wie unsere Nrn. 43, 44, 45, 47, 48. Ursprünglich hat man auch bei Nr. 46 nicht die
Knochen sehen können, der Arm war geschlossen; die Oeffnungen sind vielmehr das Werk einer Restau-
rationsperiode, deren Thätigkeit durch den ganzen Schatz hindurch und besonders an den Armreliquiarien
erkennbar ist. So dürfte denn auch von Nr. 49 nur mehr die Hand die alte ursprüngliche Gestalt haben,
das ganze Gestelle mit den Oeffnungen scheint jung zu sein. — Die jüngsten metallenen Brachia unseres
Schatzes sind die, welche ein mehr oder weniger breites Gitter an der Vorderseite haben: beide (Nr. 50, 51)
leicht zu datiren. Die Gruppe der Holzarme hebt sich deutlich ab: Nr. 52, 53. Sie gehört schon in jene
Zeit, welche an vielen und knitterigen Gewandfalten Freude fand. Hier sind die Ringe, die man oft in fast
allzugrosser Menge (als Weihegeschenke) an die Finger dieser Reliquiarien steckte, in Holz imitirt, als
wäre es undenkbar, dass nicht auch die Heiligen ihre Finger mit Ringen geziert hätten. Holzarme
sind in den Sacristeien und Sammlungen gar nicht selten: im städtischen Museum in Braunschweig sind
zwei solche Arme aus der S. Katharinenkirche (S. Longinus und S. Juliana), in Essen der Arm des
h. Basilius und noch drei andere; ebenso besitzt der Dom von Halberstadt mehrere Holzarme. Besonders

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