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Otto Schmitt

auffassung aufs engste verbunden ist. Die bedeutendere Größe des Kopfes mit der Binde, seine Herkunft von
einer Einzelfigur und seine — freilich noch ganz rätselhafte — gegenständliche Bedeutung dürften die er-
wähnten formalen Unterschiede zur Genüge erklären.
III.
Daß der Kopf mit der Binde ein Werk des Bildhauers des Mainzer Westlettners und damit des Naum-
burger Meisters ist, kann m. E. nicht ernstlich bezweifelt werden. Unter diesen Umständen drängt sich erneut
die Frage auf, ob der Kopf nicht vom Westlettner stammt und wo er hier gesessen haben könnte. Damit ist
aber notwendig die Frage nach seiner gegenständlichen Bedeutung verknüpft. In diesem Zusammenhang sei
zunächst bemerkt, daß die Bezeichnung „Kopf mit der Binde” tatsächlich das Richtige trifft. Es handelt sich
um eine ziemlich breit gelegte und nur in einer Lage um den Kopf geführte Stoffbinde, die anscheinend rück-
wärtig geknüpft war, da sie nach hinten beträchtlich schmäler wird. Doch ist der Knoten mitsamt dem Hinter-
kopf weggebrochen; das gescheitelte Haupthaar ist aber oberhalb der Binde deutlich sichtbar, wenn auch nur
grob angelegt. — Figuren, die als Kopfbedeckung eine Binde tragen, sind im Mittelalter nicht häufig. Am
ehesten scheint sie bei Propheten vorzukommen: am mittleren Westportal des Straßburger Münsters23, am
Wormser Südportal24 und am Freiburger Hauptportal25 z. B. Der Ausdruck des Kopfes mit der Binde würde
zu einem Propheten nicht schlecht passen, und man kann es wohl verstehen, daß unser Fragment gelegentlich
als Prophetenkopf angesprochen wurde20. Nun ist uns aber von Propheten am Mainzer Westlettner nichts
bekannt. Wir hören aus spärlichen Quellen von einer Synagoge27, zu der natürlich eine Ecclesia als Gegen-
stück anzunehmen ist, und von sieben Bischöfen, die aber möglicherweise erst nachträglich an der Nordbühne
der Chorschranken aufgestellt wurden28. Natürlich kommt der Kopf mit der Binde für keine der überlieferten
Statuen in Betracht. Aber es ist auch unwahrscheinlich, daß er von einer Prophetenfigur stammt. Die Binde
tritt nämlich bei Propheten niemals in Zusammenhang mit der besonderen Haartracht unseres Kopfes auf.
Überhaupt verlangt die Frisur des Kopfes mit der Binde, das halblange, in der Mitte gescheitelte, gleichmäßig
beiseite gekämmte und weit von den Wangen abstehende Haar mit kurzen Stirnlocken, unsere Aufmerksam-
keit. Es ist, wie das „Volutenhaar", das die eben genannte Frisur im Lauf des 13. Jahrhunderts ablöst, eine
spezifisch weltliche und feudale Haartracht, die beispielsweise niemals bei Aposteln, Evangelisten oder ge-
wöhnlichen Heiligen vorkommt. Dagegen finden wir sie (in beiden Etappen der Entwicklung) häufig bei
Königsdarstellungen, und zwar sowohl bei Königen des alten Bundes (z. B. David) wie in der Anbetung der
Magier und bei mittelalterlichen Fürsten und Edlen. Ein Teil der Reimser Königsstatuen, der Bamberger und
der Magdeburger Reiter, die beiden Könige auf dem Grabmal des Mainzer Erzbischofs Sigfrid von Eppstein
und die Statue Kaiser Heinrichs an der Adamspforte, alles Werke aus dem zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts,

23 Rechtes Gewände, der Zweite von außen; Schmitt, Gotische Skulpturen des Straßburger Münsters, Frankfurt a. M.
1924, Taf. 108, Mitte; die Enden der Binde fallen hier auf die Schultern herab.

24 Rechtes Gewände innen.

25 Der sog. Oseas in den Archivolten; Schmitt, Gotische Skulpturen des Freiburger Münsters, Frankfurt a. M., 1926,
Taf. 174 ganz rechts (II, 13); die Benennung ist unsicher, da von der Inschrift nur der Buchstabe E erhalten war.

20 Kautzsch I, S. 18; Klingelschmitt, Führer, S. 49 („Daniel"?). Auch Friedrich Back denkt, wie er mir gelegentlich
mitteilte, an die Vision des jugendlichen Daniel.

27 Inventar S. 153, Anm. 4.

28 Noack, „Zeitschrift für Denkmalpflege“ I, 1926/27, S. 138.

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