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Marc Rosenberg
f 4. September 1930
Von Josef Sauer
Am 4. September 1930 entschlief in Baden-Baden, der letzten Station eines vielbewegten Lebens, Marc
Rosenberg. Eine Persönlichkeit von internationalem Ruf und doch aufs engste mit unserer näheren Heimat
verwurzelt, ein Gelehrter, dessen letzte Werke den Wandel der Zeiten und der rastlosen Forschung über-
dauern werden, ein Kenner in kunstgewerblichen Fragen von unbestrittenem, sicherem Urteil, dabei ein Lebens-
künstler von großem, uns heute ganz unwahrscheinlich dünkendem Zug. Seine frühesten Arbeiten sind dem
oberrheinischen Kunstgebiet entnommen; dorthin gingen auch bis zuletzt seine lebhaften Interessen. Ich sah
ihn zum letzen Male im Frühjahr 1929 in der Galerie der christlichen Altertümer des Vatikans. Er kniete dort
vor einer Vitrine, um die Inschrift eines spätgotischen Kruzifixes aus Überlingen zu entziffern und seiner Mit-
arbeiterin zu diktieren. Nach der für beide Teile gleich großen Überraschung eines Wiedersehens gerade an
dieser Stätte sprach er noch von den vielen weitausschauenden Plänen, mit denen er sich trug; aus seinem
Antlitz, über das die Jahre auch des höchsten Alters spurlos hinweggegangen, leuchtete der Widerschein der
reifen und tiefen Eindrücke des längeren Aufenthaltes in der Aeterna und des regen Austausches mit dem
ebenfalls in Rom weilenden Neffen, Prof. Aby Warburg, der schon bald nach der Rückkehr in die Heimat
das Zeitliche segnete. Auch Rosenbergs fast unverwüstliche Lebenskraft verfiel schon kurze Zeit nachher un-
begreiflich rasch; alle Gegenmittel und noch so sorgsame Pflege vermochten die langwierige Auflösung nicht
aufzuhalten.
Rosenbergs früheste Jugend gehört Rußland an; in Kamienetz wurde er 1851 als Sohn eines Groß-
kaufmanns geboren. Petersburg und später Paris, wo seine früh verstorbene Schwester lebte, bestimmten mit
dem Übermaß erster Jugendeindrücke den Lebensstil seines starken Temperaments. Nordische Lebensausgiebig-
keit und südliche Beweglichkeit des Geistes fanden sich in einer eigenartigen Mischung bei ihm zusammen;
sie gaben ihm auf dem Boden wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit den Ansporn zu einer wahrhaft fürstlichen
Lebenseinrichtung, zu einer Festfreudigkeit, wie sie uns nur aus den glücklichen Tagen der Renaissance bekannt
ist, zu jener geradezu verschwenderischen Generosität im Spenden wissenschaftlicher Anregungen und aus
den Schätzen seiner Bibliothek an seine Freunde und erprobte Geistesmänner; aber auch zur stürmischen
Leidenschaftlichkeit aller engstirnigen Pedanterie gegenüber; sie leuchteten durch die prickelnde Kunst geist-
voll pointierten Erzählens und Darstellens.
Zum Kaufmann und Bankier ursprünglich bestimmt, fand Rosenberg in Deutschland bald seinen end-
gültig beschrittenen Weg zur Wissenschaft. In Heidelberg promovierte er in Kunstgeschichte mit einer Arbeit
über den Breisacher Hochaltar (1877), die zum ersten Male dieses seither so oft behandelte Werk in die
Wissenschaft einführte. Kurz hernach ließ er sich in Karlsruhe als Privatdozent nieder. Hier bald im Mittel-

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