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Der Meister des Hausbuches

von der Haupthandlung ablenkt. Endlich wirkt das Gebäude infolge der mißglückten Verkürzung vollkommen
verquetscht, sehr im Gegensatz zu den Architekturen des Hausbuchmeisters, die sich zwar ebenfalls einer
rechnerischen Kontrolle entziehen, jedoch immer eine glaubwürdige Kulisse für die Handlung abgeben.
Wer möchte nach alledem noch glauben, daß dieses Bild auch nur „unter den Augen" des Meisters entstanden
sei? Nichts deutet daraufhin, auch nicht die glasige Buntheit der Farbengebung. Und wenn das Pfingstbild
als eine Haupttafel, die mit Goldgrund versehen zu Seiten des Schreines saß, von einem Nachahmer gefertigt
wurde, so gilt das für die übrigen Tafeln in verstärktem Maße. Wo auch immer in der altdeutschen Malerei
eine Zusammenarbeit von Meister- und Gesellenhand vorkam, da hatte der Meister die Haupttafeln sich selber
Vorbehalten (Wohlgemut, Zwickauer Altar; Pacher, Altar in St. Wolfgang).
Die Entwicklung der Gemälde verläuft seit der Reifezeit gleichmäßig und ungestört, so daß nur ein
sehr vertrautes Auge die Veränderungen des Spätstiles herauszulesen vermag. Auch hier tritt eine Wandlung
in der Wiedergabe des Körperlichen ein, zuerst und noch vereinzelt an den Händen Marias auf der A n -
b e t u n g. Zu vergleichen wären die Hände der Heiligen auf der Freiburger Kreuzigung, die in
ihrer feingliedrigen, scharf konturierten Art ätherisch wirken, während sie hier voll und weich geworden sind.
Die lebenswarme Oberfläche der Haut ist über Handrücken und Finger hinweg zusammenhängend abgetastet
und hauchzart in all ihren Schwellungen durchschattiert. Eine entsprechende Stufe der Gesichtsbildung
findet man bei dem Anführer der Schriftgelehrten in Mainz, der sich deutlich genug von dem verwandten
Kopftypus des Hohenpriesters Kaiphas (Freiburg) abhebt. In einem Zuge ist hier die Oberfläche durch-
modelliert, die auf dem älteren Werke Stück für Stück zeichnerisch erobert wurde, unter mehr oder minder
großer Isolierung der einzelnen Partien. Diese Vereinheitlichung hat eine wuchtige Steigerung der Gesamt-
erscheinung und eine Konzentrierung des Ausdrucksgehaltes zur Folge, mit anderen Worten, wir nähern uns
dem Stilideale der späten Zeichnungen, wie es zuerst in dem Erlanger Blatte von 1485 (Armbrustschütze)
verwirklicht wurde. Demnach wird 1485—87 das ungefähre Datum für die beiden Marientafeln abgeben.
Die farbige Durchbildung ersetzt die bisherige Buntheit durch eine ruhige Geschlossenheit der einzelnen
Töne, deren Wirkungsmöglichkeiten intensiver ausgenutzt werden. Neuartig wirkt das vielfache Braun und
Rotbraun auf der Anbetung (Mauerwerk und Kleidung der Hirten) und besonders das helle Rosa und
Blau der beiden Hauptgestalten, das aus früherem Karmin und Ultramarin entstanden ist. Wie auf den
gleichzeitigen Stichen das Licht die Körperoberfläche angreift, so dringt es hier in den dunklen Farbton ein
und lichtet ihn zu hellstem Glanze auf, so daß nur in den tiefsten Schattenrändern ein schönes Weinrot bzw.
Dunkelblau erhalten bleibt. Dieses Rosa und Hellblau leitet auch zu dem spätesten Bilde des Hausbuchmeisters
hinüber, zu der Beweinung Christi in Dresden (Einheitsmaß 130x173 cm; Clemen und Firmenich-
Richartz: Kunsthistorische Ausstellung zu Düsseldorf 1904, T. 69; Bruckmanns Pigmentdrucke Düsseldorf
Nr. 225)32, auf der an bevorzugter Stelle die beiden Töne erscheinen (zweite Frau von links und Maria).
Eine weitere Verbindung besteht darin, daß der Stifter die Hände Marias von der Anbetung trägt. Ihre
Tendenz auf vollkörperliche Erscheinung wird bei der trauernden Gottesmutter fortentwickelt, deren Hand-
rücken unter einer aderreichen Oberfläche dickfleischig sich rundet. Dagegen ist das Antlitz mit den Er-

32 E. Firmenich-Richartz, Hans Memlings Jugendentwicklung (Ztschr. f, christl. Kunst 1901, Bd. 15, Sp. 109—112).
Auf dem Dresdener Bilde ist nur die Landschaft unberührt (abgesehen von der Stadt), während die Figuren größtenteils scharf
gereinigt sind, so daß die helleren Partien in einem kalten und harten Glanze erstrahlen. Einige Gesichter wirken, aus
der Nähe betrachtet, unangenehm bloßgelegt, als ob ihnen die Haut abgezogen wäre.

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