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Johannes Dürkop

Heiligentafel). Auf dieser Grundlage bildet die „Verfeinerung" einen gelösten Bewegungsstil aus, den ein
feingliedriges und empfindsames Geschlecht uns vorführt (Dresdener Rundblätter; Boccaccio, de claris
mulieribus). Von neuem erstrebt die „Festigung" eine kraftvolle Erstarkung der Einzelgestalt, die aber dies-
mal als organisches Lebewesen aufgefaßt wird, welches mit robuster Vitalität alle abstrakten Schemata abstreift
(Passionsaltar aus der Sammlung Hirscher, die Planeten Saturn, Jupiter und Merkur im Hausbuche; unter den
Stichen der sich kratzende Hund). Die „Reifezeit" vereinigt lebenswarme Menschen in einer ausgewogenen
Komposition (Freiburger Altar, Berliner Silberstiftzeichnung, Liebespaar von L 75), während der „Spätstil"
noch einmal die Körpererscheinung zu einer machtvollen Geschlossenheit emporsteigert und sie gleichzeitig
mit der Umgebung durch ein übergreifendes Helldunkelspiel verschmilzt (Brügger Skizzen, die letzten Stiche).
Die Betrachtung dieser Stufenleiter wird noch insofern erschwert, als sie in der Spirale vorwärtsschreitet, in-
dem jeder neue Abschnitt die Ergebnisse der vorhergehenden schon verarbeitet hat. Jedenfalls liegt hier eine
Anregung vor, einmal die Entwicklungsgänge von Künstlern aller Art systematisch zu durchforschen, ob sie
in einer periodischen Gesetzmäßigkeit verlaufen. Es könnte dabei innerhalb der einzelnen Lebensläufe ein
Gegenstück zum „Rhythmus der Generationen" herausspringen, also ein Rhythmus der Lebensalter. Bemerkt
sei, daß Rosenberg in seiner so klugen und vorsichtigen Monographie über „Ruysdael" gleichfalls einen
periodischen Wechsel in der Entwicklung herausarbeitet, und zwar ganz empirisch, ohne den Dingen durch
ein vorgefaßtes Schema Gewalt anzutun.
Die so unübersehbar vielgestaltige Erscheinung des Hausbuchmeisters läßt sich in der coincidentia
oppositorum auf eine einheitliche Formel bringen. Entwicklungsgeschichtlich hat seine Kunst ein vorwärts-
und ein zurückschauendes Antlitz, von denen keines vernachlässigt werden darf. Sie führt einerseits das Erbe
der mittelalterlichen Malerei weiter, das sich als ein abstraktes, in der Fläche aufgezeichnetes und den indivi-
duellen Einzelerscheinungen übergeordnetes Bildgerüst darstellt, und huldigt andererseits der ungebundenen
Wirklichkeitsfreude des modernen Menschen. Rassenkundlich bedeutet sie eine Manifestation urschwäbischen
Wesens, welches aber durch einen Schuß bayrischen Blutes Kernigkeit erhält. Den geistig Herrschenden unter
seinen Gestalten eignet die stille Versunkenheit, die fromme Andacht, die treuherzige Rechtschaffenheit und
der sonnige Frohsinn des Schwaben, den Angehörigen des niederen Volkes aber die urwüchsige Kraft des
Bayern. Gelegentlich und besonders in der Epoche der „Festigung" bricht das bayrische Wesen übermächtig
hervor. Seine reale Grundlage erhält diese Deutung durch den Nachweis, daß der junge Hausbuchmeister im
schwäbisch-bayrischen Grenzgebiete tätig gewesen ist und sich auf den Meister von Weilheim und Polling
zurückführen läßt. Charakterologisch ist für den Hausbuchmeister die „gleitende Skala der Charaktere" be-
zeichnend, also ein gleichmäßiges Verständnis für den ganzen Umkreis menschlicher Seelenformen, unbeschadet
seiner Einteilung nach Temperamenten, Altersstufen, Ständen und Geschlechtern. Was das bedeutet, zeigt
ein Vergleich mit bayrischen Bildern derselben Zeit, die einseitig laut und derb sich gebärden, oder aber mit
den Bildern Zeitbloms, die ebenso einseitig eine lähmende Stille als Grundnote besitzen. Rein technisch ver-
einigt schließlich der Künstler die Möglichkeiten der Feder- und Silberstiftzeichnung, des Holzschnittes, des
Stiches und der Malerei in sich, in der letzteren wiederum das Gleichgewicht zwischen zeichnerischen,
plastischen und malerischen Werten. So läßt sich das Wesen des Hausbuchmeisters als eine Harmonie von
Gegensätzen definieren, und dazu stimmt wiederum die Erscheinung seiner Lieblingsgestalten, die er von An-
fang bis zu Ende als seine eigenen Spiegelbilder beibehält. Zwei Idealbilder schöner Harmonie kennt er, den

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