Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Holzschnitte vom „Meister des Frankfurter Paradiesgärtleins“
Von Kurt Bauch
In einem deutsch geschriebenen Gebetbuch der Stadtbibliothek zu Colmar klebt ein Holzschnitt, der
Maria darstellt, wie sie sitzend dem Kinde eine Rose hinhält (Abb. 3). Schreiber bezeichnet ihn als „anmutiges,
im Elsaß (Colmar) um 1450/60 entstandenes Blatt"1. Dieser Holzschnitt ist vom „Meister des Frankfurter
Paradiesgärtleins" gezeichnet.
Der Künstler ist eine der eigenartigsten und reizendsten Erscheinungen im Gesamtbilde der deutschen
Malerei bald nach 1400, deren merkwürdige Struktur immer noch nicht klar zu erkennen ist. Überall beobachtet
man ein völliges Abreißen der lokalen Stiltradition. Was in Köln, Nürnberg, in Westfalen, in Hamburg, am
Bodensee, in Österreich in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts entsteht, läßt sich nicht aus der deutschen
Trecentomalerei entwickeln, ja, es hat fast überall gar nichts damit zu tun. Andererseits aber sind die Werke
des Veronikameisters, des Malers des Nürnberger Marienaltars, des Conrad von Soest und des Meisters Franke
überraschend hochwertig und kultiviert. Weiter zeigen sich bei fern und unabhängig voneinander arbeitenden
Künstlern auffällige Übereinstimmungen in stilistischen oder motivischen Einzelzügen. Endlich bleiben diese
bedeutenden Meister (außer in Nürnberg, das überhaupt eine Sonderstellung einnimmt,) so gut wie völlig
ohne wirkliche Schule und Wirkung im Sinne produktiver Fortentwicklung ihres Stiles. Was sich örtlich
erhält, sind thematische oder motivische Einzelzüge, manchmal ein leichter Dialektklang, niemals Stilprinzipien.
So ist es trotz reicher und bedeutender Produktion unmöglich, eine z. B. kölnische oder niedersächsische Stil-
entwicklung durch mehrere Jahrzehnte hindurch zu erkennen oder überhaupt zu örtlichen Ordnungskriterien
zu kommen. Diese eigentümlichen Tatsachen erklären sich dadurch, daß der Stil aller jener Meister in jedem
einzelnen Falle importiert ist. Die Kunst der französischen Hofminiaturisten war der Ausgangspunkt. Diese
hochgezüchtete Kunst, quasi unabhängig von der Landschaft, ja, vom Lande, bloß an die Höfe gebunden,
wurde schon längst nicht mehr wesentlich von Franzosen ausgeübt. Aber sie war immer noch die für den
ganzen Norden Europas vorbildliche Pariser Kunst. Man hat die Stile der in den einzelnen deutschen Gauen
arbeitenden Meister nicht nach ihrem direkten Verhältnis zueinander zu beurteilen und zu ordnen, sondern
auf dem Umweg über ihre Quelle: das Verhältnis der vorbildlichen Pariser Stilstadien zueinander gibt die
Grundlage. So sind uns Conrad und Franke als verwandt oder verschieden zunächst weder nach ihrer

1 Schreiber, Handbuch der Holz- und Metallschneidekunst des 15. Jahrhunderts, Bd. II, 1926, Nr. 1060 a (Abb. bei
Clauß, Holz- und Metallschnitte... in... Colmar und Schlettstadt, 1909, Taf. 2; Heitz, Einblattdrucke des 15. Jahrhunderts,
Bd. 17. — Die Abb. bei J. Collijn, Ettbladstryck . . ., Stockholm, 1912, II, Text S. 59 ist die Umzeichnung eines modernen
Künstlers.) — Schreibers Datierung ist schon negativ als zu spät zu erkennen. Er gibt die gute künstlerische Qualität zu; bei
hochwertigen Einzelholzschnitten, die von Malern gezeichnet wurden, ist aber an ein handwerklich-provinzielles Zurückbleiben
des Stiles nicht zu denken. Und gerade in der Colmarer Gegend, die Sch. als Entstehungsort vermutet, war 1450/60 jener Stil
schon seit mindestens zwei Jahrzehnten veraltet. Damals müssen dort schon die Maler tätig gewesen sein, die dem Stil des
E S entsprechen, beispielsweise der Meister der Bergheimer Tafel in Colmar und Isenmann. Noch fortschrittlicher, sozusagen
zwei Stilgenerationen von dem Holzschnitt entfernt, ist der vor 1460 entstandene Staltffenbergaltar Schongauers, s. in
diesem Band S. 171 ff.

21

161
 
Annotationen