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Staab, Franz [Editor]
Zur Kontinuität zwischen Antike und Mittelalter am Oberrhein — Oberrheinische Studien, Band 11: Sigmaringen: Thorbecke, 1994

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Jamut, Jörg: Aspekte des Kontinuitätsproblems in der Völkerwanderungszeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.52729#0041
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Aspekte des Kontinuitätsproblems
in der Völkerwanderungszeit

VON JÖRG JARNUT

Am 28. August 476 erschlug der römische Gardeoffizier Odoaker in einem Gefecht bei
Piacenza den magister militum Orestes, der seit einem Jahr gegen den Westkaiser Julius Nepos
rebellierte. Wenige Tage später eroberte der Sieger das noch von Orestes’ Truppen gehaltene
Ravenna, wo ihm der kleine Sohn des Erschlagenen, Romulus Augustulus, in die Hände fiel.
Das Kind war vor knapp einem Jahr, am 31. Oktober 475, von seinem aufständischen Vater
zum Kaiser erhoben worden. Nun setzte ihn Odoaker ab und wies ihm zu seinem Unterhalt
ein Landgut bei Neapel und ein beträchtliches Jahreseinkommen von 6000 Goldstücken an.
Wenige Wochen später entsandte er eine Abordnung des Senats nach Konstantinopel, die den
Kaiserornat dorthin brachte und zugleich forderte, Odoaker zum patricius und magister
militum zu ernennen und mit der Verwaltung Italiens zu beauftragen. Man benötige nun
keinen Kaiser im Westen mehr. Der Ostkaiser Zenon schickte die Gesandtschaft zu Nepos
nach Dalmatien, titulierte Odoaker aber bereits a\s patricius. Fortan regierte dieser Italien. 480
wurde Nepos ermordet. Damit starb der letzte legitime, weil auch von Ostrom anerkannte
weströmische Kaiser1. Seitdem bildete das seit 395, nach dem Tod Theodosius’ des Großen, in
einen Ost- und einen Westteil aufgespaltene Imperium Romanum wieder eine Einheit.
Diese Geschichte läßt sich aber auch so erzählen: Der Sohn des skirischen Königs Ediko,
Odoaker, trat nach der Niederlage seines Volkes gegen die Goten an der Bolia in die
kaiserliche Leibgarde in Italien ein und stieg schnell in hohe Offiziersränge auf. In den inneren
Auseinandersetzungen, die den Westteil des Reiches in den siebziger Jahren erschütterten,
spielte er bald eine wichtige Rolle. Als 476 die in Italien stationierten barbarischen Föderaten-
einheiten forderten, daß ihnen ein Drittel des Landes zur Ansiedlung oder - nach der seit
einigen Jahren vorherrschenden Interpretation derselben Quellen - daß ihnen ein Drittel des
Steuereinkommens zum Unterhalt zugewiesen werde, lehnte dies Orestes ab. Der magister
militum war als Schreiber Attilas zum erbitterten Feind Edikos geworden, der wie er am Hof
des hunnischen Großkönigs gelebt hatte. Jetzt stellte sich Edikos Sohn Odoaker an die Spitze
Die Vortragsform wurde in der schriftlichen Fassung weitgehend beibehalten, der Anmerkungsapparat -
in Anbetracht der kaum noch überschaubaren Literatur zu unserem Thema - bewußt auf das Notwendig-
ste beschränkt.
1 Zu den Vorgängen 478-480 vgl. z. B. E. Stein, Histoire du Bas-Empire 1, Paris 1959, S. 396-399;
A.Demandt, Die Spätantike. Römische Geschichte von Diocletian bis Justinian. 284-565 n. Chr.
(Handbuch der Altertumswissenschaften III/6), München 1989, S. 175-179; H. Wolfram, Das Reich und
die Germanen. Zwischen Antike und Mittelalter, Berlin 1990, S. 263-268. Für das Jahr 476 grundlegend
M. A. Wes, Das Ende des Kaisertums im Westen des Römischen Reichs (Archeologische Studien van het
Nederlands Historisch Instituut te Rome 2) s-Gravenhage 1967.
 
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