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Staab, Franz [Editor]
Zur Kontinuität zwischen Antike und Mittelalter am Oberrhein — Oberrheinische Studien, Band 11: Sigmaringen: Thorbecke, 1994

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Staab, Franz: Heidentum und Christentum in der Germania Prima zwischen Antike und Mittelalter
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https://doi.org/10.11588/diglit.52729#0135
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Heidentum und Christentum in der Germania Prima
zwischen Antike und Mittelalter

VON FRANZ STAAB

I
In der Diskussion um das Ende des weströmischen Reiches spielt das Christentum eine
entscheidende Rolle, seit ihm Edward Gibbon 1776 und 1781 wegen des Aufbaus eines Staates
im Staate, wegen der Herabsetzung der aktiven Tugenden des Menschen, wegen des hem-
mungslosen Kampfes der Lehrunterschiede, in den Staatsorgane bis hin zum Kaiser hineinver-
strickt wurden, einerseits eine besondere Mitschuld am Untergang der politischen Macht der
Römer und am Niedergang der antiken Zivilisation zugeschrieben hat, andererseits aber doch
das Verdienst, manche Bereiche der antiken Kultur weitertradiert und vor allem die Wildheit
der Barbaren gemäßigt zu haben1. Die Bewertungen Gibbons entstanden nicht als ein quasi
absichtsloses Ergebnis seiner Beschäftigung mit Antike und Mittelalter. Vielmehr erhielt die
generelle Kritik der Aufklärung am Christentum, an der Kirche, an ihren zeitgenössischen
Manifestationen und an den von ihr hervorgebrachten Mentalitäten durch Gibbon ihre
geschichtliche Fundamentierung, aber auch manche Abmilderung. Gerade die umfassende
Betrachtungsweise des Westens wie des Ostens bis zur Eroberung Konstantinopels 1453
bewahrte den Autor, bei aller stilistischen Schärfe und Spottlust, vor den überzogenen
Urteilen früherer Aufklärer, so daß seine Fragestellungen und Resultate in vieler Hinsicht
ihren Wert behalten haben2. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, daß es immer wieder möglich
ist, das von ihm entworfene große Panorama durch die Behandlung von einzelnen Bildaus-
schnitten zu präzisieren und in neue Perspektiven zu rücken, ohne daß Gibbons Thematisie-
rung und Gesamturteil dadurch ernsthaft angegriffen würde.
Der nachfolgende Beitrag steht also in einer langen und fruchtbaren Tradition. Die
sachliche, geographische und chronologische Wahl des Bildausschnitts bedingt von vornher-
ein, daß zur Frage der Mitschuld des Christentums am Zusammbruch des römischen Staates
im Westen kaum ein Beitrag geleistet werden kann, wohl aber zu der, inwieweit religiös-
kulturelle Traditionen diesen Zusammenbruch überlebt haben. Dabei wird sich zeigen, daß
nicht allein im Vergleich zum späten 18. Jahrhundert, sondern fast noch mehr im Vergleich zu
1 E. Gibbon, The history of the decline and fall of the roman empire 1-6, London 1776-1788. Das
15. Kapitel im l.Band (1776) erläuterte die Grundlagen der Ausbreitung des Christentums und seiner
Entwicklung zu einem Staat im Staate, das 38. im 3. Band (1781) die Ursachen des Untergangs Westroms;
vgl. K. Christ, Von Gibbon zu Rostovtzeff. Leben und Werk führender Althistoriker der Neuzeit,
Darmstadt 1972, S. 8-25, bes. S. 18-23.
2 Vgl. dazu am besten: The transformation of the roman world. Gibbon’s problem after two centuries,
hg. von L. White jr., Berkeley, Los Angeles 1966.
 
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