Zum gegenwärtigen Stand der Alemannenforschung
VON DIETER GEUENICH
Von Zeit zu Zeit kann es förderlich sein, den Stand der Forschung zu einem in der Diskussion
befindlichen Thema zusammenfassend darzustellen beziehungsweise dort, wo eine Zusam-
menfassung (noch) nicht möglich ist, die kontroversen Positionen einander gegenüberzustel-
len. Dies erscheint immer dann sinnvoll, wenn sich auf einem Forschungsgebiet der Wissens-
stand durch neue Funde oder neue Erkenntnisse verändert hat. Eine zusammenfassende
Darstellung kann sich vor allem dann als nützlich erweisen, wenn an der Erforschung eines
Gegenstandes verschiedene Fachdisziplinen beteiligt sind, die auf diese Weise mit dem
veränderten Wissensstand konfrontiert werden. Eine solche Situation scheint bei der Erfor-
schung der gens Alamannorum vorzuliegen, die durch neue archäologische Funde1 und neue
Erkenntnisse, etwa in der Frage der Ethnogenese2, wieder in Bewegung und vielleicht ein
Stück vorangekommen ist. So kann die Darstellung der derzeit diskutierten »offenen Fragen«
im interdisziplinären Dialog, der in letzter Zeit in erfreulicher Weise in Gang gekommen ist,
möglicherweise zu neuen Lösungen führen.
Lange Zeit haben die Archäologen beispielsweise im Vertrauen auf die Interpretation der
überlieferten Schriftquellen durch die Historiker angenommen, man kenne aus diesen Quellen
das Territorium, das die Alemannen in der Zeit ihrer Landnahme in Besitz nahmen, und allzu
lange hat man deshalb von Seiten der Archäologie entsprechend die auf diesem Gebiet
vorgefundenen Gräber als »alemannisch« bezeichnet, obwohl, wie viele Archäologen heute
einräumen, die Kriterien dafür nicht ausreichen, alemannische Gräber von nicht-alemanni-
schen zu unterscheiden. »Es gibt«, so der Archäologe Wolfgang Hübener, »weder eine
spezifisch alemannische Tracht, Bewaffnung oder ein Schmuckgebaren, (noch) eine solche
1 Stellvertretend für zahlreiche neuere Fundberichte seien hier die Beiträge von G. Fingerlin, Frühe
Alamannen im Breisgau. Zur Geschichte und Archäologie des 3.-5.Jahrhunderts zwischen Basler
Rheinknie und Kaiserstuhl, und H. Steuer, Höhensiedlungen des 4. und 5.Jahrhunderts in Südwest-
deutschland, beide in: H.U. Nuber, K. Schmid, H. Steuer und Th. Zotz (Hgg.), Archäologie und
Geschichte des ersten Jahrtausends in Südwestdeutschland (Archäologie und Geschichte 1), Sigmaringen
1990, S. 97-137 und S. 139-205, genannt, die neue Funde der bislang als fundarm geltenden Zeit des 4. und
5. Jahrhunderts vorstellen und zu deuten versuchen.
2 Vgl. etwa die Kolloquiumsberichte in den Sammelbänden von H. Beumann und W. Schröder (Hgg.),
Frühmittelalterliche Ethnogenese im Alpenraum (Nationes5), Sigmaringen 1985; H. Wolfram und
W. Pohl (Hgg.), Typen der Ethnogenese unter besonderer Berücksichtigung der Bayern, Teil 1 (Veröf-
fentlichungen der Kommission für Frühmittelalterforschung 12, DenkschrrAkadWien, philosophisch-
historische Klasse 201), Wien 1990; H.Friesinger und F. Daim (Hgg.), Typen der Ethnogenese unter
besonderer Berücksichtigung der Bayern, Teil 2 (Veröffentlichungen... 12, DenkschrrAkadWien 204),
Wien 1990.
VON DIETER GEUENICH
Von Zeit zu Zeit kann es förderlich sein, den Stand der Forschung zu einem in der Diskussion
befindlichen Thema zusammenfassend darzustellen beziehungsweise dort, wo eine Zusam-
menfassung (noch) nicht möglich ist, die kontroversen Positionen einander gegenüberzustel-
len. Dies erscheint immer dann sinnvoll, wenn sich auf einem Forschungsgebiet der Wissens-
stand durch neue Funde oder neue Erkenntnisse verändert hat. Eine zusammenfassende
Darstellung kann sich vor allem dann als nützlich erweisen, wenn an der Erforschung eines
Gegenstandes verschiedene Fachdisziplinen beteiligt sind, die auf diese Weise mit dem
veränderten Wissensstand konfrontiert werden. Eine solche Situation scheint bei der Erfor-
schung der gens Alamannorum vorzuliegen, die durch neue archäologische Funde1 und neue
Erkenntnisse, etwa in der Frage der Ethnogenese2, wieder in Bewegung und vielleicht ein
Stück vorangekommen ist. So kann die Darstellung der derzeit diskutierten »offenen Fragen«
im interdisziplinären Dialog, der in letzter Zeit in erfreulicher Weise in Gang gekommen ist,
möglicherweise zu neuen Lösungen führen.
Lange Zeit haben die Archäologen beispielsweise im Vertrauen auf die Interpretation der
überlieferten Schriftquellen durch die Historiker angenommen, man kenne aus diesen Quellen
das Territorium, das die Alemannen in der Zeit ihrer Landnahme in Besitz nahmen, und allzu
lange hat man deshalb von Seiten der Archäologie entsprechend die auf diesem Gebiet
vorgefundenen Gräber als »alemannisch« bezeichnet, obwohl, wie viele Archäologen heute
einräumen, die Kriterien dafür nicht ausreichen, alemannische Gräber von nicht-alemanni-
schen zu unterscheiden. »Es gibt«, so der Archäologe Wolfgang Hübener, »weder eine
spezifisch alemannische Tracht, Bewaffnung oder ein Schmuckgebaren, (noch) eine solche
1 Stellvertretend für zahlreiche neuere Fundberichte seien hier die Beiträge von G. Fingerlin, Frühe
Alamannen im Breisgau. Zur Geschichte und Archäologie des 3.-5.Jahrhunderts zwischen Basler
Rheinknie und Kaiserstuhl, und H. Steuer, Höhensiedlungen des 4. und 5.Jahrhunderts in Südwest-
deutschland, beide in: H.U. Nuber, K. Schmid, H. Steuer und Th. Zotz (Hgg.), Archäologie und
Geschichte des ersten Jahrtausends in Südwestdeutschland (Archäologie und Geschichte 1), Sigmaringen
1990, S. 97-137 und S. 139-205, genannt, die neue Funde der bislang als fundarm geltenden Zeit des 4. und
5. Jahrhunderts vorstellen und zu deuten versuchen.
2 Vgl. etwa die Kolloquiumsberichte in den Sammelbänden von H. Beumann und W. Schröder (Hgg.),
Frühmittelalterliche Ethnogenese im Alpenraum (Nationes5), Sigmaringen 1985; H. Wolfram und
W. Pohl (Hgg.), Typen der Ethnogenese unter besonderer Berücksichtigung der Bayern, Teil 1 (Veröf-
fentlichungen der Kommission für Frühmittelalterforschung 12, DenkschrrAkadWien, philosophisch-
historische Klasse 201), Wien 1990; H.Friesinger und F. Daim (Hgg.), Typen der Ethnogenese unter
besonderer Berücksichtigung der Bayern, Teil 2 (Veröffentlichungen... 12, DenkschrrAkadWien 204),
Wien 1990.