Das Mädchen von Antium
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Glieder schmiegsam umschließt und zugleich in breiten Massen sich von ihm
ablöst und neben dem Körper niederfällt, trennt beide Schöpfungen als Ergeb-
nisse ganz verschiedener Schulen.
Dasselbe Bedenken trifft bei Leochares zu, an dessen Urheberschaft Klein 27)
zunächst dachte. Befremdend wirkt schon die nahe Beziehung zwischen dem
Ganymed und der Leda zu der Nikebalustrade. Nehmen wir aber mit Winter
und Furtwängler als Ausgangspunkt den Apollo von Belvedere an, wo gerade
das Problem darin gipfelt, über Natur und Mensch hinauszugehen und jenen
göttlichen, schwebenden Gang zum Ausdruck zu bringen, so öffnet sich uns hier
eine unüberbrückbare Kluft.
Diese raschen Andeutungen werden genügen, um den Versuch, die Statue
einem bekannten Meister zuzuweisen, von vornherein abzulehnen. Es erübrigt
noch, kurz einiges über die Kunstrichtung hinzuzufügen. Die Statue ist nicht
als Rundfigur erdacht, sondern ohne einen starken architektonischen Rahmen
undenkbar. Schon dies ist ein Moment, welches sie von der attischen Kunst-
blüte des vierten Jahrhunderts trennt und zum Vorläufer jüngerer hellenistischer
Schöpfungen macht. Ziehen wir ein derartiges Werk, so den sog. Dionysos von
Tralles in Constantinopel 28) zum Vergleiche heran, so fühlen wir eine gewisse,
weniger zeitliche, als locale Verwandtschaft heraus. Die feine Sinnlichkeit, die
uns aus beiden Werken entgegenspricht, scheint die Ursache dieser intimen Be-
ziehung zu sein. Auch tritt ja die decorative Bedeutung des Kunstwerkes hier stark
in den Vordergrund, dazu gesellen sich verschiedene Züge, die wir bei der Statue
von Antium beobachtet haben und die oftmals bei hellenistischen Werken wieder-
kehren, der volle, runde Elals mit den feinen transversalen Hautfalten, die spiele-
rischen Nackenlöckchen und das zeichnerische Element, welches beispielsweise der
schöne, im Wiener Hofmuseum befindliche Aphroditekopf aus Tralles 29) aufweist.
Schon die grundverschiedenen Typen, welche die aus Tralles stammenden
Stücke repräsentieren, beweisen, wie außerordentlich schwierig und für uns schwer
verständlich die Verhältnisse in Kleinasien in jenen Zeiten liegen. Trotzdem
scheint mir kein Grund vorzuliegen, mit der Statue von Antium tief hinab-
zugehen, weit eher möchte ich ein frühes Beispiel der neuen Kunstepoche in
ihr sehen, die sich auf kleinasiatischem Boden vorbereitet. Dafür spricht auch
ein Vergleich mit der Gewandbehandlung der Nike von Samothrake, deren durch
27) Praxitel. Studien 45. Saloman, Die Restauration der Venus von Milo II;
28) Revue arch. 1888 Taf. XIV 289; 1894 Taf. 69 Taf. IV; R. v. Schneider, Alb. auserl. Gegen-
IV 184. stände der Antikensamml. des allerh. Kaiserhauses
29) Arch.-epigr. Mitth. IV Taf. I, II 66; Geskel Taf. VI S. 3.
Jahreshefte des österr. archäol. Institutes Bd. VI.
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Glieder schmiegsam umschließt und zugleich in breiten Massen sich von ihm
ablöst und neben dem Körper niederfällt, trennt beide Schöpfungen als Ergeb-
nisse ganz verschiedener Schulen.
Dasselbe Bedenken trifft bei Leochares zu, an dessen Urheberschaft Klein 27)
zunächst dachte. Befremdend wirkt schon die nahe Beziehung zwischen dem
Ganymed und der Leda zu der Nikebalustrade. Nehmen wir aber mit Winter
und Furtwängler als Ausgangspunkt den Apollo von Belvedere an, wo gerade
das Problem darin gipfelt, über Natur und Mensch hinauszugehen und jenen
göttlichen, schwebenden Gang zum Ausdruck zu bringen, so öffnet sich uns hier
eine unüberbrückbare Kluft.
Diese raschen Andeutungen werden genügen, um den Versuch, die Statue
einem bekannten Meister zuzuweisen, von vornherein abzulehnen. Es erübrigt
noch, kurz einiges über die Kunstrichtung hinzuzufügen. Die Statue ist nicht
als Rundfigur erdacht, sondern ohne einen starken architektonischen Rahmen
undenkbar. Schon dies ist ein Moment, welches sie von der attischen Kunst-
blüte des vierten Jahrhunderts trennt und zum Vorläufer jüngerer hellenistischer
Schöpfungen macht. Ziehen wir ein derartiges Werk, so den sog. Dionysos von
Tralles in Constantinopel 28) zum Vergleiche heran, so fühlen wir eine gewisse,
weniger zeitliche, als locale Verwandtschaft heraus. Die feine Sinnlichkeit, die
uns aus beiden Werken entgegenspricht, scheint die Ursache dieser intimen Be-
ziehung zu sein. Auch tritt ja die decorative Bedeutung des Kunstwerkes hier stark
in den Vordergrund, dazu gesellen sich verschiedene Züge, die wir bei der Statue
von Antium beobachtet haben und die oftmals bei hellenistischen Werken wieder-
kehren, der volle, runde Elals mit den feinen transversalen Hautfalten, die spiele-
rischen Nackenlöckchen und das zeichnerische Element, welches beispielsweise der
schöne, im Wiener Hofmuseum befindliche Aphroditekopf aus Tralles 29) aufweist.
Schon die grundverschiedenen Typen, welche die aus Tralles stammenden
Stücke repräsentieren, beweisen, wie außerordentlich schwierig und für uns schwer
verständlich die Verhältnisse in Kleinasien in jenen Zeiten liegen. Trotzdem
scheint mir kein Grund vorzuliegen, mit der Statue von Antium tief hinab-
zugehen, weit eher möchte ich ein frühes Beispiel der neuen Kunstepoche in
ihr sehen, die sich auf kleinasiatischem Boden vorbereitet. Dafür spricht auch
ein Vergleich mit der Gewandbehandlung der Nike von Samothrake, deren durch
27) Praxitel. Studien 45. Saloman, Die Restauration der Venus von Milo II;
28) Revue arch. 1888 Taf. XIV 289; 1894 Taf. 69 Taf. IV; R. v. Schneider, Alb. auserl. Gegen-
IV 184. stände der Antikensamml. des allerh. Kaiserhauses
29) Arch.-epigr. Mitth. IV Taf. I, II 66; Geskel Taf. VI S. 3.
Jahreshefte des österr. archäol. Institutes Bd. VI.
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