A. Körte, Zu den Bechern von Vaho
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des Tierlebens besaß, als sie Archäologen eigen zu sein pflegt. Riegl hebt S. 5
mit Recht als ganz besonders auffallend „das gewissermaßen geistige Verhältnis"
der beiden Stiere in der Mitte hervor. „Der hintere wendet den Kopf wie lieb-
kosend zu dem vorderen zurück, der seinerseits aus der Bildfläche zum Beschauer
herausblickt." Aber verstößt der Künstler damit nicht gröblich gegen die sonst
von ihm so sorgsam beobachtete Naturwahrheit? Wer hat je zwei Stiere einander
liebkosen gesehen? Zärtliche Gefühle äußern Stiere so gut wie Hirsche oder Reh-
böcke ausschließlich gegen das weibliche Geschlecht, in den eigenen Geschlechts-
genossen sehen sie nur gehaßte Rivalen. Hier setzt Lipschitz' Beobachtung ein:
Das hintere, etwas kleiner und zierlicher gebildete Tier ist kein Stier, sondern
eine Kuh, das beweist die auch von Riegl als merkwürdig hervorgehobene
Haltung des Schwanzes. Mit dieser Schwanzhebung zeigt die Kuh regelmäßig
an, daß sie gewillt ist, den brünstigen Stier aufzunehmen, die zärtliche Kopf-
wendung und ein freundliches Muhen, das man fast zu hören glaubt, bekräftigen
ihre entgegenkommenden Gefühle. Nun erklärt sich auch die Haltung der
beiden andern Stiere viel besser: Der von rechts herankommende weidet nicht,
das hätte der anschaulich erzählende Künstler ja leicht durch ein Grasbüschel
andeuten können, er schnuppert mit weit vorgestrecktem Kopf — es ist der Duft
der rindernden Kuh, der ihn herbeilockt. Der lebhaft brüllende, stolz mit dem
Schwänze schlagende Stier zur Linken hat dagegen die Begattung — man wird
annehmen müssen, mit einer andern Kuh — bereits vollzogen und wird nun
fortgetrieben. So gewinnen wir eine viel größere Geschlossenheit für die ganze
Darstellung und das von Riegl so zutreffend betonte Genrehafte der Szene wird
nicht unwesentlich gesteigert.
Basel. ALFRED KÖRTE
Αρχίατρός τό
Die Arzteinschriften aus Ephesos, welche J. Keil in diesen Jahresheften
VIII 119 ff- veröffentlicht und besprochen hat, lehren uns genug des Über-
raschenden kennen, vor allem den alljährlich in vier Zweigen der ärztlichen
Wissenschaft abgehaltenen άγων των ίκτρ&ν. Manches bleibt dabei noch rätsel-
haft und auffallend und wird hoffentlich durch weitere erwartete Funde klarer
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des Tierlebens besaß, als sie Archäologen eigen zu sein pflegt. Riegl hebt S. 5
mit Recht als ganz besonders auffallend „das gewissermaßen geistige Verhältnis"
der beiden Stiere in der Mitte hervor. „Der hintere wendet den Kopf wie lieb-
kosend zu dem vorderen zurück, der seinerseits aus der Bildfläche zum Beschauer
herausblickt." Aber verstößt der Künstler damit nicht gröblich gegen die sonst
von ihm so sorgsam beobachtete Naturwahrheit? Wer hat je zwei Stiere einander
liebkosen gesehen? Zärtliche Gefühle äußern Stiere so gut wie Hirsche oder Reh-
böcke ausschließlich gegen das weibliche Geschlecht, in den eigenen Geschlechts-
genossen sehen sie nur gehaßte Rivalen. Hier setzt Lipschitz' Beobachtung ein:
Das hintere, etwas kleiner und zierlicher gebildete Tier ist kein Stier, sondern
eine Kuh, das beweist die auch von Riegl als merkwürdig hervorgehobene
Haltung des Schwanzes. Mit dieser Schwanzhebung zeigt die Kuh regelmäßig
an, daß sie gewillt ist, den brünstigen Stier aufzunehmen, die zärtliche Kopf-
wendung und ein freundliches Muhen, das man fast zu hören glaubt, bekräftigen
ihre entgegenkommenden Gefühle. Nun erklärt sich auch die Haltung der
beiden andern Stiere viel besser: Der von rechts herankommende weidet nicht,
das hätte der anschaulich erzählende Künstler ja leicht durch ein Grasbüschel
andeuten können, er schnuppert mit weit vorgestrecktem Kopf — es ist der Duft
der rindernden Kuh, der ihn herbeilockt. Der lebhaft brüllende, stolz mit dem
Schwänze schlagende Stier zur Linken hat dagegen die Begattung — man wird
annehmen müssen, mit einer andern Kuh — bereits vollzogen und wird nun
fortgetrieben. So gewinnen wir eine viel größere Geschlossenheit für die ganze
Darstellung und das von Riegl so zutreffend betonte Genrehafte der Szene wird
nicht unwesentlich gesteigert.
Basel. ALFRED KÖRTE
Αρχίατρός τό
Die Arzteinschriften aus Ephesos, welche J. Keil in diesen Jahresheften
VIII 119 ff- veröffentlicht und besprochen hat, lehren uns genug des Über-
raschenden kennen, vor allem den alljährlich in vier Zweigen der ärztlichen
Wissenschaft abgehaltenen άγων των ίκτρ&ν. Manches bleibt dabei noch rätsel-
haft und auffallend und wird hoffentlich durch weitere erwartete Funde klarer
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