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Panofsky, Erwin; Saxl, Fritz
Dürers "Melencolia I": eine quellen- und typengeschichtliche Untersuchung — Teubner, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.31125#0024
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4

Das Altertum

sind3), so hat die letztere hier wie so oft nichts anderes getan, als
griechische Weisheit zugleich zu bewahren und zu systematisieren.
Ganz ebenso dem Ursprung nach schon spätantik, wenngleich der For-
mulierung nach erst mittelalterlich, ist nun auch der Gedanke, daß jede
dieser vier Komplexionen einem bestimmten Planeten zugeordnet
oder unterworfen sei — dem Planeten nämlich, der seiner Natur nach
dem betreffenden Humor „entspricht“ und den Erzeugungsort desselben
„beherrscht“. Dem Jupiter etwa gehört das warme und feuchte Blut,
weil er selbst als warm und feucht betrachtet wird, und dementspre-
chend die Leber, in der nach Ansicht der damaligen Physiologie das
Blut erzeugt wird, er ist also der Planet der Sanguiniker mit ihrem
leichtlebig-freundlichen, „jovialen“ Charakter; dem hitzig-trockenen
Mars gehört aus entsprechenden Gründen die gelbe Galle und damit
der Choleriker, und die mit dem schweren Element der Erde vergli-
chene kalt-trockene schwarze Galle, die Quelle und Sig'natur der Me-
lancholie, als deren Erzeugungsort die Milz galt, g'ehört dem gleich-
falls finsteren, schweren und trockenen, kalten Saturn1 2) — dem lang-
samsten und höchsten der Planeten, dem Dämon der Erdentiefe und
der Schätze, des Greisenalters und des Todes.

Saturn ist also der Planet der Melancholiker, wie er der Planet
der Ackerbauer und Totengräber ist; noch heute nennen die Englän-
der den melancholisch-düsteren Charakter „satumine“, und von den
Ergebnissen der bisherigen Forschung ist dies das wichtigste und un-
umstößlichste, daß für Dürer die Aufgabe, ein melancholisches Bild
zu gestalten, gleichbedeutend vvar mit der Aufgabe, ein saturnini-
sches zu schaffen.3) Wie sah nun aber diese Saturn-Vorstellung des
Mittelalters aus, wie ist sie zustande gekommen und in welcher Gestalt
gelangte sie zu Dürer?

In der astrologischen Hauptquelle des Mittelalters, der großen Ein-
leitung des Abü Ma'sar, die im IX. Jahrhundert verfaßt wurde und seit
dem XII. in zwei lateinischen Übersetzungen vorlag, heißt es folgen-
dermaßen:

„Was den Saturn anbetrifft, so ist seine Natur (oder: natürliche Be-

1) Vgl. von Wageningen, in Mnemosyne, nov. ser. XLVI, i, 1918, p. 374 f£.
Dort vvird das Verdienst, die vier Temperamente erstmalig auf eine Formel ge-
bracht zu haben, fiir Johannitius (Honain b. Ishäq) in Anspruch genommen.

2) Vgl. hierzu Roscher in Ausführl. Lexikon d. griech. und röm. Mythol. III,
col. 2518 ff., s. v. „Planeten“. Auch die entsprechenden Zuordnungen bei Abü
Marsar und seinen Nachfolgern (vgl. Anhang I) basieren, wie sogleich zu zeigen
sein wird, durchaus auf den Anschauungen der spätantiken Astrologie und Phy-
siologie.

3) Giehlow, a. a. O. 1904, p. 67.
 
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