Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die Melancholie

2 3

die Beurteilung der Melancholie eine wesentlich negative, und selbst-
verständlich mußte diese Auffassung — die, immer holzschnittmäßiger
vergröbert, schließlich in den Komplexbüchlein und Schäferkalendern
ihren Niederschlag fand — die populäre Vorstellung weit stärker be-
einfiussen als die Aristoteles-Reminiszenzen der esoterischen Gelehrten-
literatur: hatten die Salernitaner dem Melancholiker wenigstens noch
die Gleichgültigkeit gegen den Schlaf, die zähe Beharrlichkeit und die
Neigung zu geistiger Arbeit gelassen1), so ist die Melancholie in den
volkstümlichen Bilderbüchern „die unedelste Komplex“, trübsiniiig,
furchtsam, träge und untauglich zu jeder ordentlichen Arbeit. Die
Holzschnitte zeigen gewöhnlich einenMann und ein Weib aus niederem
Stande, die dumpf und faul auf ihrem Stuhle eingeschlafen sind2), —
höchstens, daß hie und da (genau wie auf den Darstellungen der „Sa-
turnkinder“) als dritter ein Mönch hinzukommt, der in einer dem ge-
meinen Verstande noch gerade zugänglichen Form die „vita contem-
plativa“ repräsentiert3) — und das Emblem-Tier des Melancholikers ist
das in diesem Zusammenhang bereits bei Ibn Esra erwähnte Schwein
(Abb. 16 und 21); das literarische Bild, das diesem anschaulichen ent-
spricht, sieht etwa folgendermaßen aus: „Doch schreibt man vns tzu
dem ersten von dem melancolico. vnd der wirt geleichet dem ertrich.

wann die erden ist kalt vnd trucken_Er wirt auch zugeleychet dem

herbst. wann der ist kalte vnd trucken. Er wirt auch geleychet dem
alter wann so der mensch alt wirt so fahen an sein arbeyt seiner siech-
tagen. vnd das ist so der menschwirt bey sibentzig jaren alt.... Zu dem
anderen mal merck vnd nymm war, das der Melancholicus ist forchtsam

vnd nit dürstig_Zu dem dritten Mal ist tzu wyssen, dz der melan-

colicus ist träg vnd eines trägen lauffes, wann er ist kalter Natur;

imperfectum rei arbitrium. Quae omnia, si profutidissime et spisse anima operetur,
causa sunt, quare in melancholiam illabatur. Videmus enim multos religiosos et in
bona vita reverendos in hanc passionem incidentes, ex dei timore et futuri judicii
suspicione et summi boni videndi cupiditate . . . Animae labor, inquit, [sc. Hippo-
crates] est cogitatio sicut est corporis labor ambulare, quare pessimos generat mor-
bos; utpote corporis labor, ita et labor animae in melancholiam facit cadere.“ Vgl.
auch die von M. Honecker (Zeitschr. f. christl. Kunst XXVII, 1913, col. 324f.)
angezogenen Äußerungen des Johannes v. Gerson sovvie das oben zitierte ,,consi-
lium“ des Ugo Senensis.

ij Vgl. die bekannten, auch von Giehlow 1903, p. 32/33 zitierten Merkverse
,,Hi vigilant studiis, nec mens est dedita somno, ■

Servant propositum . . .“

2) Abb. Giehlovv a. a. O. 1904, p. 64, auch Wölfflin, Die Kuiist Albrecht
Dürers, II. Aufl. 1908, p. 238;' In unserer Arbeit Abb. 8.

3) Z. B.: Der schapherders Kalender, Rostock, 1523, fol. 69r, sowie der
in Abb. 15 wiedergegebene Holzschnitt eines (Straßburger ?) Druckes urn 1500,
den vvir bisher nicht identifizieren konnten.
 
Annotationen