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Panofsky, Erwin; Saxl, Fritz
Dürers "Melencolia I": eine quellen- und typengeschichtliche Untersuchung — Teubner, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.31125#0046
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Der Saturn

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DER SATURN

Sehr aufschlußreich erscheint es nun, daß die Vorstellung des
Saturn im Mittelalter ein völlig entsprechendes Schicksal g'ehabt hat.
Ganz wie der positive Melancholiebegriff des Aristoteles weiterlebt,
so auch — und mit einer durchaus entsprechenden Umdeutung ins
Christliche — der positive Saturnbegriff des Neuplatonismus; und ganz
wie jener in der medizinischen Literatur zugunsten einer überwie-
gend negativen Auffassung zurücktritt, so dieser in der astrologi-
schen. Der christlichen Gesinnung' der scholastischen Theologie ent-
spricht es ja am meisten, den Einfluß der Gestirne, wenn man ihn über-
haupt anerkannte, als einen an sich segensreichen aufzufassen; und
nichts lag näher, als die sieben Heilsgaben, die die Planeten nach
Macrobius der menschlichen Seele verleihen sollten, in ebensoviele
„virtutes principales Sancti Spiritus“ umzudeuten. Das hat schon bei
Ambrosius begonnen1 2), und bei dem schon zitierten Alexander Neck-
ham finden wir die optimistische Lehre des Macrobius dergestalt um-
geformt, daß die Planeten, „die den Makrokosmos zieren“, die „sieben
Gaben des Heiligen Geistes bezeichnen, mit denen der Mikrokosmos
geschmückt ist“. „Die Weisheit aber,“ so heißt es dann weiter, „die
unter diesen Gaben den höchsten Rang behauptet, wie unter den Pla-
neten der Saturn, erzeugt die Reife, und nimmt, wie der Saturn bei
seinem Himmelslauf, geraume Zeit für sich in Anspruch.“:) Der eben-
falls bereits genannte Wilhelm von Auvergne aber singt dem Saturn
geradezu ein Loblied, indem er, durchaus nach Analogie der kirch-
lichen Gnadenlehre, seinen etwaigen bösen Einfiuß nur einem Miß-
brauch seiner Gaben durch den Menschen zuschreibt: Auch der
Saturn istals Vollzieher des göttlichen Willens gut „per se“ — schlecht
kann er nur (ein anderes zu denken, wäre Gotteslästerung) „ad inten-
tionem abusionis“ wirken (wie selbst das segensreiche Sonnenlicht

i) Vgl. Boll, Lebensalter, p. i2öff. Über Berthold v. Regensburg, der an
den sieben Planeten die sieben christlichen Tugenden exemplifiziert, vgl. denselben,
Sternglaube, p. 49. Saturn bezeichnet hier die Tugend der „Stetigkeit“ (Die Pre-
digten des Franziskaners Berthold von Regensburg, ed. Göbel, 1906, p. 60).

2) A. a. O. p. 39 ff. Es kommen im übrigen der Seele zu: vom Jupiter:
„intellectus, qui providentiam creat et hebetudinem expellit“; vom Mars: „donum
consilii, quod precipitationem renuit et cautelam procreat“; vom Sol: „perseveran-
tia, fiducia, magnanimitas“; von Venus: „laetitiae hilaris solatium“; vom Merkur:
„donurn dulcis conversationis spirituale, argumentum gratiae“; von Luna: „timor,
qui negligentiam expellit, et humilitas“. Die „Gaben“ der Planeten sind also nur
z. T. identisch mit den bei Macrobius überlieferten, fließen aber ebenfalls (z. T.,
wie bei Mars, per contrarium) unmittelbar aus dem mythologischen Wesen der
betreffenden Gottheit.
 
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