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Die Florentiner Renaissance
sung des Macrobius stellte und der Vorstellung des Saturn als eines
Gestirnes erhabener Kontemplation zum Siege verhalf: im XXI. Ge-
sang des Paradieses ist es ja die Saturnsphäre, in der dem Dichter die
erlauchtesten Vertreter der Vita contemplativa erscheinen (Piero Da-
miano und der heilige Benedikt), aus der die leuchtende Stufenleiter
der Kontemplation bis zur Anschauung des Göttlichen emporsteigt, wo
Beatrices Lächeln erstirbt, und selbst die Musik der Sphären verstummt,
weil das Absolute zu nahe ist1), — eine merkwürdige Reminiszenz an
die „ciYf|“ des spätantiken Kronos. Es leuchtet ein, daß eine solche
Darstellung schon an und für sich die Anschauung vom Wesen des
Saturn aufs tiefste beeinflussen mußte, zumal sie durch die Kommen-
tatoren noch weiter ausgesponnen und, zum Teil unter ausdrücklicher
Zitierung des Macrobius, ausführlich begründet wurde.2) Jedoch das
wares nicht allein: auch psychologisch war der Augenblick gekommen.
in dem die hohe Auffassung vom Wesen des Saturn aufs neue Wurzel
fassen und, hic et nunc, ganz ungeahnte Blüten treiben konnte. Denn —-
und abermals tritt der eigentümliche Parallelismus der beiden Vor-
stellungen hervor — auch die Melancholie erlebte in der florenti-
nischen Frührenaissance ihre Nobilitierung, sie wird, was sie beinahe
bis heute geblieben ist, zur typischen Haltung des modernen
Genies.3) Schon Petrarca, der erste Repräsentant dieses neuen mensch-
x) „Tu hai l’udir mortal si come il viso“
Rispuose a me; „onde qui non si canta
Per qual che Beatrice non ha riso. . . —
Im übrigen ist es bemerkenswert, daß ein Mann wie Polizian das ganze „Paradiso“
durchaus im Sinne neoplatonischer Astralmystik als eine „Sternenreise“ auffaßte:
„Dantem per stellas volantem“ (zitiert bei K. Borinski, die Rätsel Michelangelos,
1908, p. 30).
2) Vgl. neben dem oben zitierten Kommentar des Jacopo della Lana etwa
den des Landino (z. B. in der Venezianer Ausgabe von 1491, — bei Bernardino
Benali und Matteo da Parma — fol. CCLXVII): ,,el quale pianeto, quando e ben
disposto nella nativitä dell’ huomo, lo fa investigatore delle cose antiche et recon-
dite; et inferisce acuta ratiocinatione et discorso di ragione, et ancora secondo
Macrobio quella virtii della mente, la quale i Greci chiamon „theoreticon“, i. f.
potentia di contemplare et speculare; la qual cosa induxe el poeta, che rappresenti
in questa sphera l’anime speculatrici.“ Danach aber ergeht sich der Kommentator
— bezeichnenderweise — in einer langen Schilderung der Saturnqualitäten, die
sich durchaus im Rahmen dessen hält, was wir bei Abü Ma'sar, Ibn Esra und den
übrigen arabischen Astrologen zu finden gewohnt sind, indem er dem Saturn den
Ackerbau, den Tod, den Geiz, die Mönche, die Melancholiker, die Juden, die
„cose fetide e lorde“ zuordnet, und ihm nur nachrühmt, daß er bei günstiger Dispo-
sition ,,fa l’huomo callido e di profunde opinioni e diversi“. — Auch in den Camal-
dulenser-Gesprächen (IYr. Gespräch, in der Straßburger Ausgabe von 1508 fol.
K 1 ff.) wird übrigens die Macrqbius-Stelle in extenso zitiert.
3) Vgl. neben dem als Motto unserer Arbeit vorangestellten Gedicht Verlaines
Die Florentiner Renaissance
sung des Macrobius stellte und der Vorstellung des Saturn als eines
Gestirnes erhabener Kontemplation zum Siege verhalf: im XXI. Ge-
sang des Paradieses ist es ja die Saturnsphäre, in der dem Dichter die
erlauchtesten Vertreter der Vita contemplativa erscheinen (Piero Da-
miano und der heilige Benedikt), aus der die leuchtende Stufenleiter
der Kontemplation bis zur Anschauung des Göttlichen emporsteigt, wo
Beatrices Lächeln erstirbt, und selbst die Musik der Sphären verstummt,
weil das Absolute zu nahe ist1), — eine merkwürdige Reminiszenz an
die „ciYf|“ des spätantiken Kronos. Es leuchtet ein, daß eine solche
Darstellung schon an und für sich die Anschauung vom Wesen des
Saturn aufs tiefste beeinflussen mußte, zumal sie durch die Kommen-
tatoren noch weiter ausgesponnen und, zum Teil unter ausdrücklicher
Zitierung des Macrobius, ausführlich begründet wurde.2) Jedoch das
wares nicht allein: auch psychologisch war der Augenblick gekommen.
in dem die hohe Auffassung vom Wesen des Saturn aufs neue Wurzel
fassen und, hic et nunc, ganz ungeahnte Blüten treiben konnte. Denn —-
und abermals tritt der eigentümliche Parallelismus der beiden Vor-
stellungen hervor — auch die Melancholie erlebte in der florenti-
nischen Frührenaissance ihre Nobilitierung, sie wird, was sie beinahe
bis heute geblieben ist, zur typischen Haltung des modernen
Genies.3) Schon Petrarca, der erste Repräsentant dieses neuen mensch-
x) „Tu hai l’udir mortal si come il viso“
Rispuose a me; „onde qui non si canta
Per qual che Beatrice non ha riso. . . —
Im übrigen ist es bemerkenswert, daß ein Mann wie Polizian das ganze „Paradiso“
durchaus im Sinne neoplatonischer Astralmystik als eine „Sternenreise“ auffaßte:
„Dantem per stellas volantem“ (zitiert bei K. Borinski, die Rätsel Michelangelos,
1908, p. 30).
2) Vgl. neben dem oben zitierten Kommentar des Jacopo della Lana etwa
den des Landino (z. B. in der Venezianer Ausgabe von 1491, — bei Bernardino
Benali und Matteo da Parma — fol. CCLXVII): ,,el quale pianeto, quando e ben
disposto nella nativitä dell’ huomo, lo fa investigatore delle cose antiche et recon-
dite; et inferisce acuta ratiocinatione et discorso di ragione, et ancora secondo
Macrobio quella virtii della mente, la quale i Greci chiamon „theoreticon“, i. f.
potentia di contemplare et speculare; la qual cosa induxe el poeta, che rappresenti
in questa sphera l’anime speculatrici.“ Danach aber ergeht sich der Kommentator
— bezeichnenderweise — in einer langen Schilderung der Saturnqualitäten, die
sich durchaus im Rahmen dessen hält, was wir bei Abü Ma'sar, Ibn Esra und den
übrigen arabischen Astrologen zu finden gewohnt sind, indem er dem Saturn den
Ackerbau, den Tod, den Geiz, die Mönche, die Melancholiker, die Juden, die
„cose fetide e lorde“ zuordnet, und ihm nur nachrühmt, daß er bei günstiger Dispo-
sition ,,fa l’huomo callido e di profunde opinioni e diversi“. — Auch in den Camal-
dulenser-Gesprächen (IYr. Gespräch, in der Straßburger Ausgabe von 1508 fol.
K 1 ff.) wird übrigens die Macrqbius-Stelle in extenso zitiert.
3) Vgl. neben dem als Motto unserer Arbeit vorangestellten Gedicht Verlaines