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Düicr

Maß, welches zum Hübschesten mocht nahen.“1) — Wenn dann zum
Schluß die ehrfürchtige Liebe zur Mathematik noch einmal einen ganz
starken und beinahe rührenden Ausdruck findet, so ist es also die in
ihre Grenzen zurückverwiesene, die resignierendeMathematik, der
diese Huldigung dargebracht wird, und dem Satze „welches aber durch
die Geometria sein Ding beweist und die gründliche Wahrheit anzeigt,
dem soll alle Welt glauben; denn da ist man gefangen. . ..“ geht ein
anderer Satz voraus, den man sich fast als Unterschrift des Kupfer-
stichs „Melencolia I“ zu denken vermöchte: „dann die Lügen ist in
unsrer Erkanntnuß, und steckt die Finsternuß so hart in uns,
daß auch unser Nachtappen fehlt.“2)

So scheint denn, unbeschadet aller Zusammenhänge mit der Astro-
logie und der Medizin, mit Marsiglio Ficino und den Planetenkinder-
bildern, doch auch die Empfindung derer gerechtfertigt, die in dem
Kupferstich „Melencolia I“ etwas anderes sehen möchten, als ein, wenn
auch noch so sehr veredeltes, Temperaments- oder Krankheitsbild: ein
Selbstbekenntnis und einen Ausdruck faustischen „Nichtwissenkönnens“.
Es ist das Antlitz des alten Saturn, das uns anblickt, allein wir haben
ein Recht, darin auch Dürers Züge wiederzuerkennen.

1) Lange-Fuhse, p- 359,3. In der gedruckten Proportionslehre heißt es
dann: „Das gib ich nach, daß Einer ein hübschers Bild mach . . . dann der
Ander. Aber nit bis zu dem Ende, daß es nit noch hübscher möcht sein. Dann
Solchs steigt nit in des Menschen Gemüt. Aber Gott weiß Solichs allein, wem ers
offenbarte, der weßt es auch. Die Wahrheit hält allein innen, welch der Men-
schen schönste Gestalt und Maß kinnte sein und kein andre ... In solichem Irr-
tum, den wir jetz zumal bei uns haben, weiß ich nit statthaft zu beschreiben end-
lich, was Maß sich zu der rechten Hübsche nachnen möcht“ (Lange-Fuhse,
p. 221, 30).

2) Lange-Fuhse, p. 222, 25 (aus der gedruckten Proportionslehre). Im
Hinblick auf einen solchen Satz erscheint es kaum gerechtfertigt, das faustische
„Und sehe, daß wir nichts wissen können“ als einen Ausdruck spezifisch „moder-
ner“ Empfindung zu betrachten (so Wölfflin, a. a. O. p. 239).
 
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