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Panofsky, Erwin; Saxl, Fritz
Dürers "Melencolia I": eine quellen- und typengeschichtliche Untersuchung — Teubner, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.31125#0174
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Die nachdürcrischen Melancholiedarstellungen bis smn XVII. Jahrhundert 153

Die zweite italienische Darstellung, die mit Dürers Melancholie-
blatt zusammenhängt, ist die in mehreren Exemplaren erhaltene Kom-
position Domenico Fetis, die unter dem Namen der „Melan-
cholie“ oder „Meditation“ bekannt ist (Abb. 67)* 1) — wohl das be-
deutendste Kunstwerk, das unter der Einwirkung des Dürerischen Stichs
entstanden ist.2) Vor einem Gemäuer, das links den Blick in eine lichte
Landschaft frei gibt, kniet eine junge Frau von üppiger Gestalt — auf
allen bisher betrachteten Darstellungen erschien die „Melancholie“ nur
sitzend oder, in selteneren Fällen, stehend. Der Operkörper lehnt sich
über eine blockartige Mauerstufe, auf der ein geschlossenes Buch und

— in dem Venezianer Exemplar — ein Zirkel iiegen, das Haupt, mit
teilweise gelösten Flechten, ist in die linke Hand gestützt, die Rechte
umfaßt einen Totenschädel, den dieFrau mit verschleiertenBlicken be-
trachtet. Um sie herum die mannigfachstenTätigkeitssymbole: im Hin-
tergrund ein großer Himmelsglobus, Biicher und Sanduhr, imVorder-
grund ein aufgeschlagener Foliant, eine riesige Kugel, das Richtscheit,
der Hobel, Palette und Pinsel, und endlich einBildhauermodell, das,
nicht zufällig einen Satyr darstellend, von einem schönen großenHund
betrachtet wird. Der Sinn dieser Darstellung ist auf den ersten Blick
einleuchtend: jedwede menschbche Tätigkeit, die praktische nicht min-
der als die theoretische, uncl clie theoretische nicht minder als die
künstlerische, ist nichtig in Anbetracht der Vergänglichkeit alles Ir-
dischen. —

So groß cler Abstand zwischen der schönen Komposition Domenico
Fetis und dem bescheidenen Holzschnitt der „Marmi“ auch ist —
das Eine haben sie den nordischen Darstellungen gegenüber gemein-
sam: daß sie die „Melancholie“ weniger im Sinn einer Gemütsver-
anlagung als im Sinne einer Gemütsbewegung auffassen, die
„Stimmung“ (für die ja den romanischen Völkern auch der sprach-
liche Ausdruck fehlt) ersetzend durch den ,,Aff ekt“. Nur greift die
Auffassung Fetis um vieles tiefer, ja man darf sagen, daß sie sich —

— von den ganz andersartigen Voraussetzungen der Gegenreforma-
tionskunst aus —- wieder mit derjenigen Dürers beriihrt. Die ziellose

aber der der vlämischen (Antwerpen, 1644, p. 500), die jedoch keine Illustration
der „Malinconia“ bringt.

1) Nach dem Exemplar im Louvre; ein weiteres befindet sich in der Aka-
demie zu Venedig, ein drittes im Ferdinandeum zu Innsbruck.

2) Mit Wölfflin (a. a. O., p. 241, Anm.) die Beziehung zwischen Feti und
Dürer zu bezweifeln, haben wir mit Rücksicht auf die große Verbreitung des Melan-
choliestichs und das Vorkommen so vieler gleicher Attribute (Hund, Zirkel,
Kugel, Richtscheit, Sanduhr, Hobel) keine Veranlassung. Natürlich ist sie eine
rein thematische.
 
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