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I44

Hercules Prodicius

womit zugleich die Wahl des seltenen, ja singulären Scipiothemas an
Stelle des sonst üblichen Herculesthemas erklärt wäre.1)

Was aber immer der Anlaß für die Bestellung gewesen sei: auf jeden
Fall stellt uns die Doppelbild-Hypothese vor die Frage nach dem Sinn-
zusammenhang, der die Entscheidung des Scipio (bzw. die
Entscheidung des durch Scipio ersetzten Hercules) mit den
drei Grazien verbindet. Man könnte sich zunächst auf den Robettastich
und die Dichtung „Arvianotors“ berufen, wo uns die Einbeziehung der
drei Grazien in unseren Zusammenhang bereits begegnet ist.2) Alleinder
Stich des Robetta ist eine ziemlich wilde Kompilation, der ein ikono-
logisch durchdachtes Gesamtprogramm schwerlich zugrundehegt, und
auch der mehrfach angeführte Satz, mit denen der Speyerer Humanist die
Grazien in die „Apotheose“ des Hercules einführt („zu großerm eer, lob
vnnd breisz sind auch die drei gratiae dobei“) scheint ihre Anwesenheit
eher zu entschuldigen als zu begründen. Immerhin, wenn man dem Besteller
unseres Doppelbildes die lokalpatriotische Begeisterung für die berühmte
Marmorgruppe zugute hält, könnte man sich schließlich auch diesmal mit
einer solchen Verlegenheits-Motivierung zufrieden geben, —• wenn dem
nicht ein erhebliches Bedenken entgegenstünde: während die drei Gra-
zien bei Robetta als bloße Hintergrundsstaffage und bei „Arvianotor“
als unbedeutende Statistinnen in einem vielköpfigen Öpern-Ensemble
verwertet sind, treten sie bei Raffael den drei Figuren der Entscheidungs-
szene als gleichwertige Gegenspielerinnen zur Seite. Das
Drei-Grazien-Bild ist mehr als bloßes Supplement, es ist vollgültiges
Korrelat des Scipio-Bildes, und diese seine formale Selbständigkeit
scheint denn doch das Bestehen einer festeren und innerlicheren Sinnver-
knüpfung zu fordern.

Tatsächlich hat Raffael eine solche Sinnverknüpfung angedeutet:
indem er — möglicherweise erst in letzter Stunde3) — jeder der Schwe-

1) Einen indirekten Hinweis darauf, daß Raffaels Scipiobild im i. Viertel des 16.
Jahrhunderts in S i e n a zu sehen war, würde es bedeuten, wenn ein in Schubrings Cassoni-
Werk unter Nr. 520 registriertes, ehemals im Pal. Saracini zu Siena befindliches Truhen-
bild des Matteo Balducci (Schulnachfolger Pinturicchios, aber ab 1517.sechs Jahre in
Siena ansässig) die Prodikosfabel tatsächlich als einen „Traum des Hercules" dar-
gestellt hätte. Denn da, wie wir jetzt wissen, diese Auffassung der Szene nur dort begegnet,
wo ein Einfluß des Narrenschiffs vorliegt, ein solcher Einfluß aber u. W. auf italienischem
Boden nur in dem wohlbegründeten Ausnahmefall des Raffaelischen Scipiobildes wirksam
geworden ist, wäre das Gemälde Balduccis kaum anders als aus einer Bekanntschaft mit
diesem erklärlich. Leider läßt sich nichts Sicheres feststellen, da das Bild aus dem Pal.
Saracini verschwunden ist, und Herr B. Berenson, den Schubring als Gewährsmann zitiert,
sich an die Komposition nicht mehr erinnern konnte.

2) Vgl. Abb. 48 und Textzitat S. 91.

3) Vgl. von Frimmel a. a. O., der aus einem Pentimento am rechten Arm der mitt-
 
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