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176 Hercules Prodicius

Concertatioholzschnitt des lateinischen Narrenschiffs oder in Cranachs
Braunschweiger Herculesbild, die n a c k t e Frau in einen betonten Gegensatz
zu einer bekleideten treten sehen, soll in der Regel der Kontrast zwischen
Keuschheit und Unkeuschheit oder jedenfalls zwischen Kreatürlichkeit
undHeiligkeit veranschaulicht werden. So wurde die alte, sündhafte Eva
der „Nova Eva“ (gleich Maria) im geistlichen Streitgespräch gegenüberge-
stellt, oder, beifortschreitender Allegorisierung, die,,NatureHumaine“ der
„Raison“, die „Natura“ schlechthin der „Gratia“ (Abb. in).1) In diesem
Sinn ist auch der Revers der berühmten und auch der italienischen Renais-
sance nachweislich wohlbekannten Konstantinsmedaille2) des Michelet
Saulmont vom Anfang des 15. Jahrhunderts zu deuten (Abb. 110; bezeich-
nend das Hündchen zu Füßen der nackten Gestalt). Und wenn sich Tizian,
was uns durchaus nicht unwahrscheinlich ist, durch ihren Eindruck hat
beeinflussen lassen3), so würde das die nach allem vorigen naheliegende
Auffassung, daß nämlich auch die „Himmlische und irdische Liebe“ ein
sublimiertes ,, Streitgespräch" darstelle, nur unterstützen, — nur
daß der Sinngehalt vom Religiösen ins allgemein Menschliche (oder,
besser gesagt, ins allgemein Weltanschauliche) hinübergespielt
worden wäre, und daß die bildersprachliche Bedeutung des Nackten und
Bekleideten geradezu eine Umkehrung erfahren hätte. Diese Umkeh-
rung aber liegt völlig im Sinne der Zeit; denn jene positive Wertung
der Nacktheit, die im Mittelalter die Ausnahme gewesen war,
scheint in der Tat für die Symbolik des 16. Jahrhunderts beinahe zur
Regel geworden zu sein. In der im Laufe unserer Untersuchung so oft heran-

1) Nach E. Picot, Bull, de la Soc. francaise de reprod. de manuscrits ä peintures,
1913, S. 64, pl. 59 (mit einer Hintergrundslandschaft, deren Zweiteilung in üppigen
Laubwald und Felsgeklüft durchaus den Gepflogenheiten der Herculesbilder entspricht).
In breit ausgesponnener Allegorese hat noch Vasari in seiner „Humanae Reconciliationis
Imago“ (Villa Albani, phot. Alinari 22778) diesen Gegensatz dargestellt: Gott-Vater,
in Wolken thronend und den Leichnam Christi im Schoße haltend (Umbildung der Pieta
Colonna Michelangelos) richtet über die „Natur“, die von der „Justitia“ für den Tod des
Erlösers verantwortlich gemacht wird, aber im Mantel der „Gratia“, vertreten durch
Maria, Schutz findet; im Hintergründe Sündenfall und Vertreibung als Exempel der
natürlichen Sündhaftigkeit und ihrer gerechten Bestrafung, Kreuzigung und Rückkehr
des verlorenen Sohnes als Exempel der versöhnenden Gnade. Ein inhaltlich verwandtes
Bild ist die in Vasaris Selbstbiographie eingehend beschriebene Allegorie auf die „Un-
befleckte Empfängnis“ (Florenz, SS. Apostoli), deren Spruchband lautet: „Quos Evae
culpa damnavit, Mariae gratia resolvit“ (Mil. VII, S. 668).

2) E. v. Bode, Arch. f. Medaillen- und Plakettenkunde III, 1921/22, S. iff. Vgl. auch
die noch ungedruckte Hamburger Dissertation von W. v. Reybekiel „Fons Vitae“.

3) Der Zusammenhang wurde erkannt von G. v. Bezold (Anz. d. Germ. Nat.-Mus.,
1903, S. i74ff.) und weiterhin begründet durch Förster und Habich a. a. O. Allerdings er-
scheint uns die von Habich daran geknüpfte, übrigens von ihm selbst nur mit Zurück-
haltung vertretene Deutung (Glaube und Hoffnung, bz%v. Glaube, Liebe und Hoffnung)
sowohl mit bezug auf die Medaille als auch mit bezug auf das Tizianbild nicht annehmbar.
 
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