Hölle von jeher eine ganz besondere Anziehungskraft, auf die
Phantasie der Menschen und nun gar der mittelalterlichen
Menschen ausgeübt hat. Auch unseren Meister hat das Treiben
der Bewohner der Unterwelt weit mehr gereizt als die auf
Christus harrende noch unerlöste Schar, für die ihm im großen
und ganzen nur eine Gebärde — alle strecken sehnsüchtig ihre
Hände zu Christus empor — zur Verfügung stand. Und da
er ja keine Illustration der Worte «niedergefahren zur Hölle»
geben wollte, sondern eine freie Schöpfung, die von diesen
Worten nur ihren Ausgang nimmt, verlegt er kühn den
Schauplatz der Hauptbegebenheit in den Hintergrund.
Die Art nun, wie der Künstler sich den «Ort der Qual»
vorgestellt hat, ist äußerst originell. Mit dem flammenspeienden
Rachen eines Ungeheuers, wie er beim jüngsten Gericht allge-
mein ist, für die Höllenfahrt aber weniger häufig vorkommt,
mischen sich andere Vorstellungen: die vom Höllenofen vor
allem, aus dem Flammen hervorbrechen und dem durch zwei
von Teufelchen getretene Blasebälge frische Luft zugeführt
wird. Aber auch die Idee von der Hölle als Burg, zumeist bei
der Höllenfahrt verwandt, spielt mit hinein. Der eine der zwei
Oefen hat turmähnliche Gestalt, und ebenso ist die Säule, an
die der Satan gefesselt ist1, im Höllenrachen eigentlich absurd
und nur aus der Höllenburg verständlich. Die ^Vermengung
aller dieser Vorstellungen ergibt ein Gesamtbild, das wohl ab-
sonderlich aber nicht ohne phantastischen Reiz ist2.
1 Die Fesselung des Satan durch Christus geht der Erlösung der
Vorväter voran und spielt auch in dem apokryphischen Evangelium des
Nikodemus eine Rolle. Evangelia apokrypha ed. C. v. Tischendorf 1876.
S. 429.
2 Eine Verquickung der Vorstellungen Höllenburg und Höllenschlund
kommt auch sonst gelegentlich vor. Sie findet sich z. B. auf einer Flügel-
malerei des aus Lübeck stammenden Altars zu Boeslunde (Anfang 15. Jahrh.,
vgl. F. Beckett, Altartavler i Danmark fra den senere middelalder, Kopen-
hagen 1895, Taf. II), aber dort gewissermaßen im umgekehrten Sinne.
Während in Schwerin die Säule in den Höllenrachen geklemmt ist. wird
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Phantasie der Menschen und nun gar der mittelalterlichen
Menschen ausgeübt hat. Auch unseren Meister hat das Treiben
der Bewohner der Unterwelt weit mehr gereizt als die auf
Christus harrende noch unerlöste Schar, für die ihm im großen
und ganzen nur eine Gebärde — alle strecken sehnsüchtig ihre
Hände zu Christus empor — zur Verfügung stand. Und da
er ja keine Illustration der Worte «niedergefahren zur Hölle»
geben wollte, sondern eine freie Schöpfung, die von diesen
Worten nur ihren Ausgang nimmt, verlegt er kühn den
Schauplatz der Hauptbegebenheit in den Hintergrund.
Die Art nun, wie der Künstler sich den «Ort der Qual»
vorgestellt hat, ist äußerst originell. Mit dem flammenspeienden
Rachen eines Ungeheuers, wie er beim jüngsten Gericht allge-
mein ist, für die Höllenfahrt aber weniger häufig vorkommt,
mischen sich andere Vorstellungen: die vom Höllenofen vor
allem, aus dem Flammen hervorbrechen und dem durch zwei
von Teufelchen getretene Blasebälge frische Luft zugeführt
wird. Aber auch die Idee von der Hölle als Burg, zumeist bei
der Höllenfahrt verwandt, spielt mit hinein. Der eine der zwei
Oefen hat turmähnliche Gestalt, und ebenso ist die Säule, an
die der Satan gefesselt ist1, im Höllenrachen eigentlich absurd
und nur aus der Höllenburg verständlich. Die ^Vermengung
aller dieser Vorstellungen ergibt ein Gesamtbild, das wohl ab-
sonderlich aber nicht ohne phantastischen Reiz ist2.
1 Die Fesselung des Satan durch Christus geht der Erlösung der
Vorväter voran und spielt auch in dem apokryphischen Evangelium des
Nikodemus eine Rolle. Evangelia apokrypha ed. C. v. Tischendorf 1876.
S. 429.
2 Eine Verquickung der Vorstellungen Höllenburg und Höllenschlund
kommt auch sonst gelegentlich vor. Sie findet sich z. B. auf einer Flügel-
malerei des aus Lübeck stammenden Altars zu Boeslunde (Anfang 15. Jahrh.,
vgl. F. Beckett, Altartavler i Danmark fra den senere middelalder, Kopen-
hagen 1895, Taf. II), aber dort gewissermaßen im umgekehrten Sinne.
Während in Schwerin die Säule in den Höllenrachen geklemmt ist. wird
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