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besser zu sehen, so gaben wir demselben unsere Neugierde zu
erkenne».
Der Knabe «ahm zwei Schlüssel aus der Tasche, legte
sie kreuzweise übereinander, faltete daun die Hände wie
betend über dem Kopfe zusammen und bildete so eine Art
Tiara. Dann sprach er einige Worte, von denen ich wieder
nur da- Wort Papst verstand.
Wir konnten es nicht fassen, und wiederholten staunend:
„Der Papst? WaS thut denn der Papst in Frankreich;
warum ist «r nicht in Rom ? Was soll er in MontLlimart ?
Man wundere sich nicht über unsere Unwissenheit; denn
damals gab er noch nicht so viele Zeitungen wie heutzu-
tage; ich glaube, es gibt nur eine in ganz Spanien, und
diese war so groß wie ein Briefbogen. Auch gab es natür-
lich noch weniger einen Telegraphen. Für uns war der
Papst eine geheiligte Person, der Hort des katholischen
Glaubens, die erhabenste und heiligste Person des ganzen
Erdkreises. Mit den Gefühlen des Staunens und der
Freude eilte» wir jetzt natürlich hinaus, um zu erfahren, ob
wirklich der Fürst der Bischöfe und das Oberhaupt der
Christenheit in diesem kleinen französischen Städtchen ver-
weile, wir brannten vor Begierde ihn zu sehen.
Und wahrhaftig! Kaum waren wir aus dem Kaffee-
hause auf die Straße getreten, so bemerkten wir in der
Ecke des Platzes, dort, wo die Menschenmenge am dichtesten
war, einen alten, staubbedeckten Postwagen, welcher vor
einem unansehnlichen Hause hielt. Vier Gendarmen zu
Pferde hielten bei dem Wagen Wache mit blank gezogenen
Säbeln. Die Gendarmen gestatteten der Menge wohl das
Zuschauen, hielten sie aber in gemessener Entfernung und
erlaubten niemanden, sich der Thür des Hauses zu
nähern, vor welchem Pius VII. abgestiegen war während
man die Pferde wechselte.
Als die Gendarmen unsere Uniformen sahen, gestatteten
sie uns, etwas näher zu treten. Dank dieser Duldsamkeit
konnten wir die Gruppe vor der Hausthür vollkommen über-
schauen.
Da saßen auf zwei alten Strohstühlen zwei Greise,
vom Alter gebeugt, mit Schweiß und Staub bedeckt, durch
Müdigkeit und Hitze erschöpft, kaum noch athmend. Und
sie tranken etwas Wasser aus einem Glase, welches der
eine halb leerte und dann seinem Nachbar überreichte. Ihre
priesterlichen Kleider, von den eine ganz weiß, das andere
purpurfarbig war, hatten nichts Besonderes an sich, als
daß sie sehr staubig waren. Dadurch sahen die Kleider
alt und dürftig aus. Kein Abzeichen konnte uns verratheu,
welcher von diesen beiden Greisen Pius VII. sei, weil wir
nicht wußten, daß der Papst weiße Kleider zu tragen pflegt.
Trotzdem aber hatten wir alle denselben Gedanken: „Der
größere, weiß Gekleidete ist es!" -- Und wissen Sie, wes-
halb? — Während sein Begleiter weinte, blieb er ruhig
und gelassen; sein Gleichmuth bewies, daß er der Märtyrer,
seine Haltung bewies, daß er der König war.
Stellen Sie sich ei n alte« Mann von mehr als 70
Jahren vor, eine schlame, majestätische Gestalt, obwohl
durch die Jahre einwenig gebeugt. In seinem Antlitz,
welches wenige, aber tiefe Falten durchzogen, war der Geist
der Abtötung und Strenge ausgeprägt, verbunden mit
Nachsicht und Güte. Eine gerade, kurze Nase, milde tief-
liegende Augen, ein durchdringender Bl»ck, dünngesäte,
schneeweise Haare vollendete diese Ehrfurcht gebietende Er-
scheinung und drückten derselben einen gewissen Stempel
von Milde und Festigkeit, von Einfachheit und Größe auf.
Der Priester, welcher den Papst begleitete, schien et-
was jünger al- er und mußte wohl ein Kardinal sein;
Gesichtsausdruck verrieth eine größere Energie, aber auch
eine tiefere Betrübniß. Man sah an allem, daß er ein Mann




Di,


war für große, tiefe Gedanken und für schnelles e^r-
Handel«. dk
Wir blickten einander verwundert an, als
beide» hohen Greise vor uns sahen. Derselbe
dieseibe Frage lag auf aller Mienen: Ist es niögU"'^
der Papst PiuS VII, den brennendsten Sonnem' K
ausgesetzt, hier als Gefangener, von Gendarmen F
auf einem Strohstuhl sitzt, und seine ganze BegleitM-/
ein Kardinal ist? Wer ist der Urheber dieses A
deutlichen Ereignisses, dieses furchtbaren TrauersPie^M!
solchem Machwerke war nur ein Mann in EuroP»^>
sc»« r-»umc »um vuyer un» uurn uu, v»r >
Er hatte das Morgenland und das Abendland ve. >1
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iwu-rin L-lacqwcrle war nur rin wrann »u »
sein Name kam daher uns allen auf die Lippen:
Er batte das Morgenland und das Abendland ve ;
alle Throne Europas umgestürzt oder zum Wanke« !r
er hatte auch in unserem Baterlande Spanien die
fackel angezündet. Daher konnte auch nur er »m AL All
maßlosen Ergeiz es sein, welcher den Papst vor« > sx
des hl. Petrus niedergerissen hatte und ihn W
Verbrecher durch sein Land schleppte, ähnlich wie A
das jüdische Volk sein Erlöser durch die Straßen der u
mörderrischen Stadt trieb. h
Pius VII. hatte uns bald bemerkt und an An.
Uniformen erkannte er, daß wir Spanier waren
gene, gleich wie er, denn nachdem er mit dem
einige Worte gewechselt, richtete er auf uns seinen a« F
vollen Blick. Spanisch sein, hatte in jener Zeit ^ii
andere Bedeutung als heutzutage; es hieß, zude«^^,
Napoleons gehören, zu den Vertheidiger alten

ä" den Soldaten Christi, den Kreuzfahrern der
zahlen. Wir begriffen die Bedeutung des Blicks
der Papst uns beehrte, und wir beeilten uns, das M
zu entblößen zur großen Ueberraschung der Franzose^ >
uns umgaben und sich bedeckt hielten. Aber mehr
^n, denn jede Kundgebung für den
^"e seme Sicherheit in Gefahr gebracht. Die L '-s, ?
welche den Platz bedeckte, sah wenigstens zum Jhe'>
stolzer Genugthuung auf diesem Triumph der RA d ,
über die ^genannte Priesterherrschaft hin und vEss
sogar zu Beleidigungen und Verspottung des h^
fangenen. "
Inzwischen entstand eine Bewegung unter dieser
mässe: auf dem Platze, den die Gendarmen frei
erschien eine Frau aus dem Volke, viel älter als der
eme arme Alte von 100 Jahren; sie war reinlich
obschon ste, wie ich später hörte, in großer ArMl-w
^hre Haare waren weiß, wie der Schnee, ihr -<
per zitterte vor Alter. Mit Thränen in de» Äugens
bitterer Stellung hielt sie in den Händen eine« F
korb voll von herrlichen Musischen, deren dunkrU^
Farbe von dem Grün der sie bedeckenden Blätter
abstach. .
Die Gendarmen mochten sie wohl nicht zurück^ -
, Die arme Alte trat vor die beiden Greise,
auf die Kniee nieder und bot — ohne ein Wort z«
— den Korb mit Obst dem hohen Gefangenen am
Der Papst legte seine Hand auf die Haare seiner
thätenn und erhob die andere segnend über sie
scheiuung, wie die eines gottbegeisterten Prophet^',
lebe der Papst! eS lebe der Papst!" riefen
konnten uns nicht mehr halten, sondern riefen es
unserer spanischen Mundart und traten einen Schn«
zur Thüre.
PiuS VII. hörte den Ruf, erhob sich vom
seine Hände nach uns aus und segnete unS einmal-i ,
und zum drittevmale. > i«"
Ein dumpfes Gemurmel ertönte hinter''uns,
wandten uns um aus Furcht um die Sicherheit des?'

des hl. Petrus medergenssen hatte und ihn
Verbrecher durch sein Land schleppte, ähnlich wie

mörderrischen Stadt trieb
 
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