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Verein Historisches Museum der Pfalz [Hrsg.]; Historischer Verein der Pfalz [Hrsg.]
Pfälzisches Museum: Monatsschrift d. Historischen Vereins der Pfalz und des Vereins Historisches Museum der Pfalz — 2.1885

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Nr. 4 (15. April 1885)
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https://doi.org/10.11588/diglit.29787#0026
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—20
Der rote Kandschuh.
Von Theodor Markier.
Als ich vor nunmehr zwanzig Jahren die Universität be-
zog, und zum ersten Male über das Pflaster der altbcrühmten
Musenstadt schritt, da wandelte mein guter Papa an meiner
Seite, der vier Jahrzehnte früher da studiert hatte. Er sah auf
die Häuser zur rechten und linken der Straßen, blickte zu-
weilen träumerisch nach einem Giebelsenster in lustiger Höhe,
musterte die Studenten, die schaarenweise uns begegneten, und
brach dann in die Worte ans:
„Alles, Alles vergeht mit dem Wandel der Zeit!"
Und nnn, da wieder zwanzig Jahre dahin gerauscht sind,
stehe ich abermals in der alten Universitätsstadt, und es ergeht
mir gerade so, wie dereinstens Papa selig.
Nur hie und da noch eine Gasse, der die Alles mo-
dernisierende Zeit nichts anzuhaben vermocht, nur da und dort
noch ein Haus im alten Zustande, sonst Alles verändert, fremde
Gesichter unter den Bürgern, fremde Gesichter unter den
Studenten.
„Ihr werten Gefährten,
Wo seid ihr zur Zeit mir,
Ihr Lieben geblieben? —
Ach, Alle zerstreuet!" ....
Doch hinweg mit den wehmütigen Gedanken!
Ich wollte ja etwas Heiteres erzählen, einen Schwank ans
meinen Studententagen. Dort, das kleine altertümliche Hans
mit den vorspringenden Stockwerken, dem spitzznlaufenden Giebel
und dem schnörkelreichen Erker erinnert mich daran. Wenn
Steine reden könnten! Wie ein veigesscner Rest ans längst
vergangener Zeit ragt dieser Erker aus dem vergitterten Mauer-
werk hervor und lugt auf die junge, unerfahrene Schaar der
neuen Gebäude, die mit ihren regelrecht geschnittenen Thüren
und Fenstern und ihrem modernen Oelfarbenanstrich sich brüsten
und doch so wenig durchgemacht Haven.
Jener alte, unscheinbare Ban dagegen, wie Vieles hat er
erlebt! Sturm und Sonnenschein, Krieg und Frieden, Teurung
und Nebenfluß — er sah es kommen und gehen im bunten
Wechsel. Allein bei aller Trübsal, die mit unterlief, fehlte es
auch nicht an heiteren Vorfällen. Wofür wären denn die
Studenten da? — Schaut ihn nur an, den Erker in dem kleinen
Hause, auch er hat eine Nolle gespielt, eine Rolle in einer
lustigen Geschichte.
Dieser Erker nämlich, muß ich vorausschicken, ist nnr der
sonnige Ausläufer eines Gemaches, das einst, vor etwa zwanzig
Jahren, einem fidelen Bruder Studio zur Behausung diente.
Und dicht darunter befand sich ein bescheidenes Lädchen, in
welchem ein biederer Handschuhmacher sein Geschäft betrieb
So bescheiden war indes der würdige Handverschönerungs-
künstler doch nicht, daß er nicht das Symbol seiner Kunst in
Gestalt eines roten, blechernen Handschuhes über der Thüre be-
festigt hätte, zum Zeichen für die vorüberwallende Menschheit,
daß in Handschuh-Nöten hier allezeit Trost und Hilfe zu
finden sei.

*) Mit besonderer wohlwollender Erlaubnis des Herrn Verfassers
ans dessen bei Victor von Zabern in Mainz erschienenen, von der gesamten
deutschen Kritik so vortrefflich beurteilten und empfohlenen neuesten Werk:
„Bunte Gesellschaft".

Weiß der Himmel, wie lange das blecherne Wahrzeichen
da schon an seinem Eiscnstabe im Winde schwankte, als unser
Studio — Fritz Holm mag er heißen — die Entdeckung machte,
daß es eigentlich ein höchst überflüssiges Möbel sei, das durch
sein knarrendes Hin- und Herfliegen die umwohnende Bürger-
schast, und namentlich gewisse Musensöhne, in ihren philosophischen
Betrachtungen störe. Und eines Abends, als die Straße in
jenem Dunkel lag, das die spärlich leuchtenden Oel-Laternen nnr
zur Hälfte bewältigten, da saß Fritz Holm droben im Erker
und blickte gedankenvoll herab ans den roten Handschuh, der sich
unter seinen Fenstern schaukelte und mit heiserer Stimme sein
altes Wiegenlied sang.
Da überkain ihn unwiderstehlich der Drang, verbessernd in
die Mangel dieser Welt einzngreifen.
„Glaubst du, kecker Gesell", rief er.dem knarrenden Hand-
schuh entgegen, „glaubst du der Einzige zu sein, der ungestraft
bei nächtlicher Weile auf der Straße singen darf? In Arrest
mit dir!"
Sprach's, holte den eisernen Schürhaken vom Dien, und
langte herab nach dein Ruhestörer, der sich denn auch ohne
sonderliche Mühe ansheben ließ. Kein Mensch hatte diesen Vor-
gang beobachtet, und vor weiteren Anfechtungen wußte Fritz den
heimlichen Arrestanten wol zu bewahren, indem er ihn sogleich
unter Schloß und Riegel legte.
Des andern Tages ruhte unser Mnsensohn noch in den
Armen des süßen Schlafes, als ein lautes, vor seiner Thüre
ziemlich leidenschaftlich geführtes Gespräch an sein Ohr schlug.
Holm erwachte und hörte nun, wie der Hausbesitzer mit dem
Ladeninhaber im schönsten Landesdialekt über den spurlos ver-
schwundenen Handschuh disputierte:
„Ich sag Ihnen, Härr Schnackelmeier, lassen Se sich nifcht
wcks machen, es is Se in der Nacht geschähn, kurz nach zähne
hab ich'n, wees der Härre, noch baumeln sähn, verstehn Se mich,
un Sc missen nämlich wissen, Härr Schnackelmaier, daß ich an
dün verflixten Dingerich vun Handschuh särmlich gewehnr war
wie an e gleenes Kind! Wees Gnöppchen, ich gönnt' Se Abends
gar nich einschlafen, wänn ich'n nich quietschen Heern dat. Nnn
sühn Se, mei Gudcster, üben heite Nacht ging mer'sth gerade
wie so: ich kunnt Se nich einschlafen, es war ne so märkwerd'ge
Schtille. Mit cn'm Mal fiel mer'sch ein: Härr Jeses, was
had nn der Handschuh, daß er Heide so meischenschtille is? —
's lüßd mer keene Ruhe nich, ich stehe Se auf, guck zum Fünfter
naus — richdig! da war nischd mehr vun Handschuh zu sühn,
wäg war er! Härrn Se, Schnackelmaier, das is Se nischd
weider, als so e niederträchdiger Streich vun en Gongorrenten,
ich laß mich fräss'n, 's is nich anner'sch, diese jnng'n Gelb-
schnübell, die nischt gelürnt und kee Meesterstück nich gemocht
hab'n, dän'n is jeder solide Keschäftsmann e Dorn im Ooge,
glob'n Se mer nor, Schnackelmaier, so is es".
„Se känn'n Rächd ha'in, Härr Hummel", ließ sich darauf
der Andere vernehmen, daß am Ende nischd als gemeener Ke-
schäftsneid derhinter schdäcktz ich wißd ooch een, dem ich's zu-
draud, daß er mer'sch gedan ha'm kennt'; nn, ich wär' derhinnder
komm', ich wees, was ich jetzt mach': Säh'n Se, Härr Hummel,
ich laß' Se's nu in's Bläddchen ricken nn stell' ine Belohnung
d'rauf, wär ne rauskriegt, den Betrüffenden, verstanden? ns die
Weise werd's gewiß an Tag komm".
„Wenn Se keschcid sinn, Schnackelmaier!' bestärkte der
 
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