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Verein Historisches Museum der Pfalz [Hrsg.]; Historischer Verein der Pfalz [Hrsg.]
Pfälzisches Museum: Monatsschrift d. Historischen Vereins der Pfalz und des Vereins Historisches Museum der Pfalz — 2.1885

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Nr. 10 (15. Oktober 1885)
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https://doi.org/10.11588/diglit.29787#0074
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74

Jetzt erst erkannte der Schulmeister, wen er vor sich hatte.
Der Zorn übermannte ihn von nenem.
„Hölle und Teufel!" schrie er, „Er ist es? Ist es nicht
zum Wahnsinnigwerden? Der Vater verleidet mir meine Stelle
und der Sohn verführt mir meine Tochter, der Vater beraubt
mich des notdürftigsten Lebensunterhaltes und der Sohn stiehlt
mir meine Ehre! Pack Er sich von dannen, auf der Stelle,
oder es gibt ein Unglück, ein schweres Unglück!" und damit
drang er abermals mit feinem Stocke auf Karl ein. Lisbeth
warf sich dem Geliebten um den Hals und drängte ihn fort.
„Um Gotteswillen, um unserer Liebe willen, laß es nicht
zum äußersten kommen!" und Karl folgte ihr.
„Ich gehe," sagte er, „doch nicht, weil Ihr mir droht,
sondern weil diese hier mich gebeten hat. Ich gehe, doch —
aus Wiedersehen!"
Karl ging. Nun standen Vater und Tochter allein einander
gegenüber im bleichen Sternenschimmer. Eine kleine Weile
standen sie stumm da. Der Schulmeister begann zu sprechen,
auffallend ruhig, eine gewisse Wehmut schien durch seine Worte
hiudurchzuMern; doch es war dieses nur die Ruhe vor dem
Gewitter.
„Das also thust Du mir an, das ist es, was hinter
meinem Rücken gesponnen wurde? Pfui der Schande!"
„Vater, Vater!" rief Lisbeth und sank auf ihre Kuiee.
„So handelst Du gegen mich, gegen Deinen Vater? Du
hast Dich mit meinen größten Feinden, die mich hassen und ver-
folgen, hinter meinem Rücken verbunden!" rief er mit immer
lauter werdender Stimme. Du hast Dich aller Kindespflicht
entschlagen!"
Vater, habt Erbarmen, habt Mitleid!" rief sie und
rutschte etwas vorwärts, um seiue Kuiee zu umklammern. Er
stieß sie vou sich.
„Weg vrm mir! Zuvor bekenne, wie oft Du heimlich
Sitte und Anstand mit Füßen getreten, wie oft Du nächtlicher-
weile mit jenem — Buben Mammengekommen bist?"
„Dies ist das erstemal, ich schwöre Dir! und sollte auch
das letztemal sein!" rief sie in ergreifendem Tone.
„Wie?" schrie jetzt der Vater in plötzlich ausbrechendem
Zorne, „Du setzest Deinen Schandthateu dadurch die Krone auf,
daß Du auch noch lügst, daß Du Deinem Vater eine freche
Unwahrheit ins Gesicht schleuderst?" Nach diesen Worten er-
hob er drohend seinen Stock gegen sie. In demselben Angen-
blicke kam von rückwärts seine Frau herbeigeeilt. Diese hatte
lange auch nicht schlafen können. Endlich aber war sie, von der
Arbeit des Tages und der letzten Aufregung ermüdet, in einen
um so festeren Schlaf gesunken. Das Weggehen ihres Mannes
hatte sie nicht gemerkt, wohl aber hatte sie, ans dem Schlafe
aufgeschreckt, dessen letzte laute Ausrufe vernommen. Sie eilte
hinzu und wollte mit dem Rufe „Henrich, Henrich, was willst
Du thun?" ihrem Manne den Stock entreißen. Doch dieser
Versuch steigerte nur seinen Zorn.
„Wer will, wer darf mich, den Vater, hindern, eine ent-
artete Tochter zu züchtigen?" schrie er, und nach diesen Worten
geschah das Grausame: der Stock fauste nieder und traf den
Rücken des armen Mädchens.
„Damit ist Dir geworden, was Du verdient hast. Nun
gehe hin, wohin Du willst, bei mir hast Du kein Heim mehr!"
Darauf wendete sich der harte Vater um und ging in das
Hans.

Die arme Lisbeth war bei dem unglücklichen Schlage
wimmernd nach vorwärts auf das Antlitz gestürzt und in herz-
brechende Klagen ausgebrochen. Die Mutter kniete nieder, hob
ihr elendes Kind in die Höhe und legte dessen Haupt an ihre
mütterliche Brust; und so neben einander knieend, vergossen die
beiden brennende Thränen. Auch die Nachtigall verstummte, wie
wenu sie geahnt hätte, daß zu solchem Jammer ihre Töne nicht
paßten. Die Zähren stossen allmälig weniger reichlich, die Klage-
töne kamen nur mehr stoßweise hervor. Da hob die Mutter
ihre Tochter ganz in die Höhe und geleitete sie fort, stumm und
wortlos, bis sic an das Haus der Patiu kamen. Dort wurde
ihnen geöffnet und die bestürzte Marie nahm beide auf. Auch
die Schulmeisterin blieb. Sie hätte es nicht über sich vermocht,
zur selbigen Stunde wieder zurückzugehen zu dem kleiueu grau-
samen Maune. Doch am folgenden Tage mußte sie zurückkehren,
mußte dem Rufe der harten Pflicht Folge leisten. Lisbeth aber
blieb in ihrem Asyle.
IV.
Es folgten nun traurige Tage, deren Schwere am meisten
auf der blassen Frau des Schulmeisters lastete. Als sie am
Morgen nach jener unglückseligen Nacht in ihre Wohnung zurück-
kam und mit leiser, zitternder Stimme ihren Morgengruß an-
bringen wollte, da fiel der harte Mann auch über sie her. Er
beschuldigte sie, daß sie von dem Verhältnisse ihrer Tochter ge-
wußt, daß sie in Verbindung mit dein entarteten Mädchen sich
gegen ihn verschworen habe. Frau Ursula weinte und schwur
die heiligsten Eide, daß sie von der ganzen Geschichte keine
Ahnung gehabt, daß sie, wie er, in der vergangenen Nacht die
erste Kunde davon erhalten habe. Doch alles dies half nichts.
Ter Schulmeister hatte sich so sehr in seine Wut verrannt, daß
er nichts melr glaubte, daß er die ganze Welt gegen sich ver-
schworen wähnte.
Kurz nach dem Mittagessen gab es dann nochmals einen
heftigen Auftritt. Karl Bolz, welcher iu der Nacht mit dem
Rufe: „Auf Wiedersehen!" davon geeilt war, führte seinen damit
angedeuteten Vorsatz wirklich aus: er kam iu das Haus des
Schulmeisters. Im Gegensätze zu seinem leidenschaftlichen Ver-
halten in der vergangenen Nacht war er äußerst ruhig. Er bat
Vater Röhn um Verzeihung, daß er sich von seiner aufwallenden
Leidenschaft ihm gegenüber hatte hinreißen lassen. Daraus setzte
er ihm seine Verhältnisse auseinander: er werde bald eine ein-
trägliche Stelle als Oberschreiber in der Kirchenschaffnci erhalten
und könne alsdann einer Frau mehr bieten, als Nachbar Kunz.
Endlich versuchte er auch noch zu beweisen, daß sein Vater nicht
die geringste Feindschaft gegen ihn hege, daß er vielmehr durch
die stürmischen Bitten der unzufriedenen Bürger geradezu ge-
zwungen werde, so zu handeln, wie er bis dahin gehandelt habe.
Doch mit diesem Nachweise kam er bei dem alten Röhn schön
an. Während er den Anfang der Erklärungen Karls mit auf-
fallender Ruhe, aber höhnischem Lächeln angehört hatte, fuhr
er, als jener von seinem Vater sprach, heftig auf und goß die
ganze Schale seines Zornes und Unwillens über ihn aus, so
daß Karl uicht mehr zu Wort kam und traurig vou daunen ging,
mit dem Bewußtsein, daß er so bald nicht an eine Erfüllung
seiner schönsten Hoffnungen glauben dürfe: hatte doch der feind-
selige Mann gesagt, er wolle seine Tochter lieber auf der Toten-
bahre, denn als Schwiegertochter seines Todfeindes sehen.
So herrschte denn in den folgenden Wochen in der Schul-
meisterswohnung eine fast unerträgliche, niederdrückende Atmo-
 
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