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Monatsblätter für christliche Kunst

II. Jahrgang; 6. Heft; März 1910
Verlag der Gesellschaft für christliche Kunst. Preis für den Jahrgang inkl. Frankozustellung M 3.—

DER WEG ZUR KUNSTÜBUNG
Von FRANZ WOLTER
Mehr wie in früheren Zeiten drängen sich
junge Leute zur Kunst, wohl hauptsäch-
lich deshalb, weil ein verlockendes Ziel vor Augen
schwebt und der Erfolg so mancher Berühmt-
heit, die aus den bescheidensten Verhältnissen
hervorgegangen, zu ähnlichen Taten anspornt.
Man vergisst allerdings hierbei völlig, dass stets
die berühmt gewordenen Künstler als Beispiele
angeführt werden; von denen jedoch, die un-
beachtet und ungekannt verloren gingen, wird
geschwiegen, schon deshalb, weil die Namen
jener Unglücklichen völlig in Vergessenheit ge-
raten. — Will einer ein bildender Künstler
werden, so muss er vor allem, vorausgesetzt
dass er Mittel zur Verfügung hat, um für
längere Zeit mit Musse ein Akademiestudium
betreiben zu können, Talent und Fleiss zu
letzterem mitbringen. Diese Eigenschaften, wo-
zu eine gewaltige Liebe zur Kunst noch hinzu-
kommen soll, sind neben der finanziellen Sorg-
losigkeit der Studienjahre unbedingt erforder-
lich. — Bevor jedoch der angehende Kunst-
studierende in die Akademie aufgenommen
werden will, muss er die Grundelemente, die
Vorbedingungen zum Studium sich verschafft
haben. Ein noch so gründlicher Zeichnungs-
unterricht auf dem Gymnasium z. B., der zu-
meist nach Gips oder Vorlage erteilt wurde,
genügt nicht; ein Naturstudium muss voraus-
gegangen sein. Eine tüchtige wissenschaftliche

Bildung ist zwar nicht unbedingt erforderlich,
aber höchst wertvoll. All die Künstler, die
vom Handwerk, ohne Gymnasium oder Real-
schulbildung, es dennoch zu grossen Künstlern
brachten, haben ihr Wissen später mit eisernem
Fleiss nachholen müssen. Unter den vielen
Beispielen kann hier auf Lenbach hingewiesen
werden, der vom Maurergesellen zur Kunst
kam, aber durch Studieren späterhin sich zu
einem ebenso geistreichen Manne auf dem
Gebiete des Wissens emporrang wie auf dem
der Malerei. Am besten jedoch wird stets der
Schüler auf der Akademie vorwärts kommen,
der zuerst im praktischen Leben, sei es in einer
Werkstatt oder bei einem Meister gründliche
Vorarbeiten durchgemacht hat. Denn man darf
nicht vergessen oder gar unterschätzen, dass
das Künstlerische zum grössten Teil auf dem
rein Handwerklichen in Malerei und Bildhauerei
aufgebaut ist. Je mehr jemand hier Erfahrungen
gesammelt hat, desto Wertvolleres wird er er-
reichen, wenn er, mit Talent und Fleiss aus-
gerüstet, sich dann ganz dem künstlerischen
Berufe widmet. Ein solcher junger Mensch
wird auch gefeit sein vor dem allenthalben
herrschenden Grössen wahn, mit dem so manch
einer ins Kunststudium tritt, der da glaubt,
er müsse als Talent ohne weiteres dieselben
goldenen Früchte ernten wie dieser oder jener
grosse Meister. Je reifer, je ethischer aus-
gerüstet mit festen Grundsätzen ein Studieren-
der zur Kunst kommt, desto eher können
sichere Wechsel auf seine Zukunft ausgegeben
 
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