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Monatsbläffer für christliche Kunst, praktische Kunstfragen und kirchliches Kunsthandwerk
II. Jahrgang, 12. Heft September 1910
Verlag der Gesellschaft für christliche Kunst, München. — Preis des Jahrgangs inkl. Frankozustellung M3.—

ECHTIMITIERT
Von EMIL DIMMLER
Neulich war ich abends in einer Gesell-
schaft. Es kam die Rede auf die be-
vorstehende Erneuerung einer alten romanisch-
gotischen Kirche, die schon in den vierziger
Jahren des letzten Jahrhunderts ziemlich durch-
greifend restauriert worden war, aber wenig-
stens ebenso gründlich in der nächsten Zeit
neugestaltet werden soll. Sowohl der Plan
der Erneuerung im allgemeinen wie die Ab-
sicht der Gestaltung der Einzelheiten wurden
von den Anwesenden verschieden beurteilt,
wie es kaum anders zu erwarten war. Es
würde zu weit führen, alle Einzelheiten des
friedlichen Streites aufzuführen, wäre ohne
Beigabe von Bildern auch nicht wohl möglich.
Aber der Hauptinhalt kann doch angegeben
werden. Denn alle Gegensätze liessen sich
darauf zurückführen, dass die eine Partei alles
echtimitiert gestaltet wissen wollte, während die
andere verlangte, man solle bei der Erneuerung
nur auf Schönheit sehen und möglichst viel
neue Schönheit gewinnen und möglichst viel
alte Schönheit belassen, ohne Rücksicht darauf,
was die Kunstgeschichte sagen möchte.
Echtimitiert oder echtschön — es sind dies
zwei Gegensätze, die weit tiefer greifen, als
man gewöhnlich meint.
In dem genannten Fall fragen die Anhänger
des Echtimitierten nicht oder wenig danach, ob

etwas schön wirke, ob es das künstlerische Ge-
fühl befriedige, ob es seinem Zweck entspreche,
ob es in Form und Farbe die Phantasie anzu-
regen vermöge und dadurch das Seelchen in
eine höhere Welt erhebe. Sie fragen einzig oder
wenigstens in erster Linie danach, ob etwas
stilgerecht ist. Sie fragen z. B., ob ein Altar,
der 1845 als „gotisch-echtimitiert“ gemacht
wurde, wirklich echtimitiert sei, ob er wirk-
lich so sei, wie er etwa im Jahr 1349 gemacht
worden wäre. Ist er es, gut, dann lässt man
ihn. Ist er es nicht, gut, dann entfernt man
ihn und ersetzt ihn durch einen wirklich echt-
imitierten gotischen Altar, von der Art wie
er, sagen wir einmal im Jahre 1349, dem
Jahre der Vollendung der Kirche, in der
Gegend gebaut wurde. Ist der bisherige
Altar echtimitiert gewesen, soll der neue noch
echter imitiert sein. Vielleicht findet sich
dann in fünfzig Jahren eine noch echtere
Form der Nachahmung, und so kann das
artige Spiel weitergehen.
Die andere Partei berücksichtigt gewiss
auch das Geschichtliche in einem gewissen
Umfang. Ist aus einem alten Bau ein Stück-
chen ausgebrochen, sind einzelne Steine morsch
geworden, so wird kein Vernünftiger etwas
anderes wünschen, als dass man den Schaden
auf die einfachste Weise ausbessert, dass man
die Steine auswechselt, das Abgefallene er-
gänzt in der Art, wie es zuvor war. Und die
Anhänger des Schönen wissen auch wohl,
 
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