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Monatsblätter für christliche Kunst, praktische Kunstfragen und kirchliches Kunsthandiuerk
II. Jahrgang, 8. Heft, Mai 1910
Verlag der Gesellschaft für christliche Kunst. Preis für den Jahrgang inklusive Frankozustellung M3.—

KÜNSTLERWETTBEWERBE
enn in früheren Zeiten jemand ein
künstlerisches Projekt, z. B. einen Neu-
bau, eine Erweiterung, eine Ausmalung und
dergleichen zur Ausführung bringen wollte
oder eine Anschaffung zu machen hatte, so
pflegte er sich direkt an einen Künstler von
gutem Namen zu wenden, der dann entweder
selbst den Auftrag ausführte oder aber den
eigenen Entwurf in seiner Schule oder Werk-
stätte ausführen liess und vielleicht selbst die
letzte Hand an das im wesentlichen fertige
Werk legte. Heute fehlt es den Auftrag-
gebern in der Regel an Beziehungen zu wirk-
lichen Künstlern, denen sie die Ausführung
ihrer Wünsche ruhig anvertrauen könnten.
Hier helfend einzutreten ist eine der Auf-
gaben, welche die Deutsche Gesellschaft für
christliche Kunst in ihr Programm aufgenommen
hat. Sie kommt Interessenten in der Weise
entgegen, dass sie unter Künstlern einen Wett-
bewerb um die Ausführung des betreffenden
Objektes ausschreibt. Der Zweck der Künstler-
wettbewerbe ist also der, eine direkte Beziehung
zwischen den Auftraggebern und der Künstler-
schaft herzustellen, damit jenen aus einer wirk-
lichen Verlegenheit geholfen, zum Besten der
christlichen Kunst aber jegliches Handwerks-
mässige mehr und mehr ausgeschaltet werde.
Gewiss sind diese Wettbewerbe nicht das
Normale; aber infolge der nun einmal be-

stehenden Verhältnisse sind sie nicht selten eine
unumgängliche Notwendigkeit, wenn anders
eine künstlerische und damit der Sache würdige
Ausführung eines Projektes erreicht werden soll.
Wird für die Ausführung eines künstlerischen
Projektes das Mittel eines Wettbewerbes ge-
wählt, so ist es notwendig, dass die Angaben
der Auftraggeber über das Gewünschte
kurz und klar seien, damit man leicht und
ohne Irrtum erkennen kann, was streng zu
beobachten und worin dem Künstler Freiheit
gestattet ist. Dieser soll man tunlichst Spiel-
raum lassen und in den bindenden Punkten
sich nur auf das wirklich Notwendige be-
schränken, damit es jedem Künstler gestattet
ist, seine Individualität zu wahren und, wie es
wahre Kunst verlangt, frei schaffen zu können.
Im beiderseitigen Interesse ist es sodann
notwendig, dass das Preisgericht, welches
über die eingegangenen Entwürfe entscheiden
soll, aus Künstlern und Vertretern der den
Auftrag gebenden Seite sich zusammensetze.
Der Auftraggeber muss dann verpflichtet sein,
die Entscheidung der mit seiner Zustimmung
gebildeten Jury anzuerkennen, damit jegliche
ungerechte Schädigung der konkurrierenden
Künstler unmöglich gemacht wird. Aus dem-
selben Grunde müssen die ausgesetzten Preise
den gestellten Anforderungen entsprechen, und
es ist wohl festzuhalten, dass diese Preise nicht
eine Entschädigung für die rein materielle
Arbeit am Entwurf sein sollen, sondern dass
 
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