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Die mythische Geste

18 Pollock vor >Number
32,1950<, 1950. Fotografie
von Hans Namuth.

19 (nächste Seite) Pollock
bei der Arbeit an >Autumn
Rhythm<, 1950. Fotografie
von Hans Namuth.
Action Painting -
Die Choreographie einer
Lebensspur?

>Number 32< löst eine ungewohnte und daher
verunsichemde visuelle Erfahmng aus, indem
es sich allem Vorwissen, das ein Verstehen impli-
ziert, entzieht. Iiarold Rosenbergboteinen Weg
aus dieser Irritation an, als er den Blick vom
Werk fort und hin auf die künstlerische >Aktion<
lenkte. »Auf der Leinwand sollte nicht ein Bild
hergestellt werden, sondem ein Ereignis statt-
finden.«27 Da der Betrachter jenem Schaffens-
akt aber nicht beiwohnen, ein Ereignis als sol-
ches nicht an der Wand hängen kann, war diese
Formulierung lediglich ein Versuch, den Farb-
formen eine Zeichenbedeutung zu geben, sie
gewissermaßen als Lebensspuren lesbar zu ma-
chen. Rosenberg ließ sich irn Unterschied zu
dem gegenüber dem Surrealismus skeptisch
eingestellten Pollock ganz von den Ideen seines
Freundes Breton leiten, der die Kräfte des Un-
bewußten eher verabsolutierte.28 Die ungesteu-
erte, >automatische< Geste war ftir ihn nicht nur
Ausgangspunkt eines Werkes, dieses sollte viel-
mehr vollkommen aus irrationalen Antrieben
jenseits aller Vernunftkontrolle hervorgehen.
Mit Sicherheit orientierte sich Rosenberg auch
an Hans Namuths eindmcksvollen Fotografien
und Filmaufnahmen des arbeitenden Künstlers
(Abb. 18 u. 19). Namuths visuelle und Rosen-
bergs literarische Stilisiemng der Leinwand als
>Arena< schufen den Pollock-Mythos,29 der stil-
bildend für die populäre Aufbereitung avantgar-
distischer Kunst im Zeitalter der Massenmedien
wirkte. War Ende der vierziger Jahre Pollocks
Drip-Technik noch gehässig ironisiert worden,
erschien sie durch Namuths Bildregie zum my-
thischen Akt erhoben: dieser konnte die Zweifel,
ob es sich bei Pollocks Verfahren wirklich um
eine künstlerische Arbeitsweise handelt, zwar
nicht ausräumen, aber dem existentialistischen

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