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III. DIE QUELLEN UND IHRE AUSSAGEN

Die Funde sind, mit Ausnahme des Zustandes vor der Er-
bauung des heutigen Westquerhauses, aus sich heraus weit-
gehend verständlich, soweit es Gestalt und Reihenfolge der
einzelnen Bauzustände anlangt. Zur baugeschichtlichen Ein-
ordnung aber müssen die Quellen, vor allem die Schrift-
quellen, herangezogen werden. Es wird sich zeigen, daß auch
die Quellen allein keine genügende Aufklärung zu bieten

vermögen, weil sie zwar eine bestimmte Folge von Bauzustän-
den mit ihren Entstehungsursachen erkennen lassen, an-
dererseits aber über die Gestalt der Bauten fast nichts aus-
sagen. Erst die Zusammenschau von Quellen und Befund im
Abschnitt IV wird die gesamte bauliche Entwicklung des
Münsters vom frühen 8. Jahrhundert bis ins späte Mittelalter
so gut wie lückenlos in Erscheinung treten lassen.

A. SCHRIFTQUELLEN

i. Texte und Aktenauszüge
In der folgenden Zusammenstellung ist alles enthalten, was
nach dem derzeitigen Stand der geschichtlichen Forschung23
bekannt und für die Baugeschichte verwertbar ist. Die für die
Frühgeschichte maßgebenden Quellen sind durchweg ver-
öffentlicht und von den verschiedenen Beurteilern in ihrem
Sinn ausgewertet worden. Da sie außerdem an leicht erreich-
baren Stellen (Monumenta, Mone24, Kraus, KAR, Hecht) ab-
gedruckt sind, so genügt es für die Zwecke dieser Arbeit, die
einzelnen Stücke nach Charakter und Zeitstellung zu kenn-
zeichnen, ihren Inhalt kurz zu erläutern und lediglich die zur
Beweisführung nötigen Stellen im Wortlaut wiederzugeben.
1.
Gründungsurkunde der Abtei Reichenau
Karl Martell. 724 April 25. Jopilla
K. Brandi, Die Reichenauer Urkundenfälschungen. 1890
Derselbe, in KAR 10 ff.
Pirmin soll ein Kloster zu Ehren der Gottesmutter und der
Apostelfürsten Petrus und Paulus bauen und die Benedik-
tinerregel lehren.
2.
Formulae Augienses
Muster einer Vergabung. 8. Jahrhundert (Zeumer)
MG. Form. 343 Nr. 9
»Notum sit . . . portionem de alode ... ad oraturium sive
cellam in honore sanctae Mariae semper virginis constructam
tradidi...«
Tituli Augienses (3., 5., 7., 10., 13., 14., 16., 17J
Die Bedeutung dieser Weihegedichte als Quellen zur Bau-
geschichte ist wesentlich gestiegen, einmal wegen der bei den
23 Als ganz einzigartiger Glückszufall darf es bezeichnet werden,
daß diese Forschung gerade vor Beginn der Bauuntersuchung durch
das Verdienst des unvergeßlichen Konrad Beyerle in seinem Sam-
melwerk der „Kultur der Abtei Reichenau" so umfassend und
übersichtlich vorlag als Hilfsmittel für denjenigen, der wie der
Verfasser von der Seite der Technik an die Baugeschichte heran-
tritt. Zu dem darin Verarbeiteten ist an alten Zeugnissen zur Bau-
geschichte seit Jahrzehnten so gut wie nichts hinzugekommen.
Einen größeren Bestand bisher noch unbearbeiteter Akten des
General-Landesarchivs in Karlsruhe hat der Verfasser durchgese-
hen, ohne daraus neue Anhaltspunkte zur Beurteilung der älteren
Münstergeschichte zu gewinnen. Man darf, falls nicht ein uner-
warteter Fund sich einstellen sollte, den derzeitigen Vorrat an
Schriftquellen wohl als endgültig ansehen. Um so mehr Bedeu-
tung gewinnen angesichts dieser Beweislage die Bauuntersuchun-
gen.
24 F. J. Mone, Quellensammlung zur badischen Landesgeschichte,
1848 ff.

Grabungen gefundenen unerwartet großen Zahl von Bau-
zuständen, die dem 8. und 9. Jahrhundert zugeschrieben
werden müssen, sodann wegen ihrer teilweise verblüffend
eindeutigen Beziehungen zu den Bauteilen, für die sie be-
stimmt sind. Sie umfassen liturgisch betrachtet zwei Zeit-
abschnitte: denjenigen, in welchem als Altartitel der Mün-
sterbauten noch allein die höchsten Personen der Biblischen
Geschichte und die Apostelfürsten erscheinen und zweitens
die darauf folgende erste Welle des Eindringens fremder
Heiligenreliquien ins Münster, die mit der Übertragung der
Valensreliquie durch Bischof Ratolt 830 einsetzt und um die
Mitte des 9. Jahrhunderts abzuebben scheint.
Die Tituli sind in der folgenden Aufstellung nach der zeit-
lichen Reihenfolge bzw. nach den Gruppen aufgeführt, in
welche sie die Handschriftenforschung eingeteilt hat; nur sind
sie nach ihrer baugeschichtlichen Zugehörigkeit unter die
übrigen Quellen verteilt. Es sind außerdem nur die bau-
geschichtlich brauchbaren Stücke aufgenommen.
Älteste Gruppe der Tituli (3. 5.)

3.
Versus ad altarem S. Mariae
MG. Poet. Lat. IV. 639. Vor 799.
»Hane quicunque devoti
Poplitibusque flexis
convenitis ad aulam
propiatis ad aram,
Cernite conspicuum
Geroltus quod condidit
sacris aedibus altar,
lamina nitenti;
Virgineo quod condecet
Subque voto Mariae
almo podori,
intulit in aulam.
Hic agni cruor caroque
Cuius tactu huius
propinatur ex ara,
sacrantur laminae axis.
Huc quicunque cum prece
Dicite, rogo: Alme,
penetratis ad aram
miserere Gerolto;
Titulo qui tali
Aetherea fruatur
ornavit virginis templum,
sede felix in aevum.«

Die entscheidenden Stellen lauten in Übersetzung:
»Seht den bedeutenden Altar im Heiligen Haus, den Gerolt
mit schimmerndem (Gold)blech umkleidet und (so) das, was
der reinen Jungfrau gebührt, als Erfüllung eines Gelübdes in
die (heilige Halle gebracht hat. . . . Die Ihr mit eurer Bitte
bis hierher zum Altar vordringt, sagt: Erhabene, ich bitte
Dich, erbarme Dich des Gerolt, der mit solcher Ehrengabe den
Tempel der Jungfrau schmückte ....«

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