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gewordene Platz mit den aus der Marktzeit sicher vorhan-
denen Gebäuden war dann frei für die Besiedlung durch die
Chorherm.
Mit der im Vorstehenden vorgetragenen Auffassung zur
Reichenauer Marktfrage verläuft die Entwicklung nicht nur
in verfassungsrechtlicher — wie K. Beyerle gezeigt hat —, son-
dern auch in örtlicher und baulicher Hinsicht ohne »Bruch-
linie«.
Die zeitlich letzte Erweiterung des Klosterbezirks geschah
durch den Pfalzneubau des Abtes Witigowo von 995. So gut

er auch durch das Carmen Purchardi bezeugt ist, so wenig ist
über seine Gestalt und Größe bekannt. Nicht zu bezweifeln
ist, daß die Folgebauten die allgemeine Lage des Erstbaues
beibehalten haben. Als bauliche Mindestforderung wird man
auch für die Witigowopfalz neben dem Wohn- und Gästebau
ein Marstallgebäude und Wohnungen für die Dienerschaft
annehmen müssen.
Damit ist die Untersuchung über die räumliche Entwicklung
des Klosters in der Frühzeit bis zum Ende des 10. Jahrhunderts
abgeschlossen.

C. DIE BAUABSCHNITTE UND IHRE BAUGESCHICHTLICHE STELLUNG

Zum Verständnis der folgenden Ausführungen ist ein kurzes
Eingehen auf die Planlegung der Funde und Rekonstruktionen
notwendig.
Der Baubefund ist an Ort und Stelle in Handzeichnungen
großen Maßstabs (meist 1 : 20) aufgenommen. Diese soge-
nannten Handblätter (Abb. 266—276) werden hier nur soweit
wiedergegeben, als sie für die Aufklärung wichtige Einzel-
heiten enthalten. Sie bilden im übrigen die Grundlage für
die im Maßstab 1 : 50 gezeichneten Aufnahmepläne des ge-
samten Baubestands (Abb. 234—260, 328—331). Das Hauptblatt
ist der Grundriß mit der Eintragung der Grabungsergebnisse.
Zu seiner neuartigen Darstellungsweise ist folgendes zu sagen
(vgl. Farbtaf.):
Die außergewöhnliche Fülle von Funden mit ihren Einzel-
heiten war nur wiederzugeben, wenn auf die übliche Kennt-
lichmachung der Mauerzüge durch Flächenbehandlung ver-
zichtet wurde. Die letztere wurde ersetzt beim aufgehenden
Mauerwerk durch Verstärkung des Randstrichs nach innen
(Maße sind also von außen zu außen zu nehmen), bei den
mit dünneren Strichen gezeichneten Fundamenten durch
häufige Eintragung der Höhenmaße für Sohle und Oberkante.
Die für die Aufklärung der Zeitfolgen so wichtigen Fuß-
böden sind dagegen sowohl durch Flächenpunktierung als
durch Höhenzahlen angegeben. Gezeichnet ist jeweils der
tiefste Boden. Übereinanderliegende Böden sind im allge-
meinen durch Nebeneinandersetzen der einzelnen Höhen-
zahlen gekennzeichnet. Nur in der nördlichen Hälfte des
Grundrisses, wo sehr tiefliegende Böden und Fundamente
durch höherliegende Böden überdeckt sind, war diese Dar-
stellungsweise nicht möglich; man muß hier noch die reichlich
gegebenen Schnitte heranziehen (Abb. 238—242,328—331). Der
baugeschichtlich gleichfalls wichtige, gewachsene Boden59 ist
lediglich durch seine Höhenzahlen bezeichnet. Alle Höhen-
angaben beziehen sich auf den Nullpunkt der Vermessung,
Oberkante der Basis am nordöstlichen Vierungspfeiler des
Westquerhauses = 401,52 m Meereshöhe.
Da auch bei den Rekonstruktionsplänen die zeichnerischen
Signaturen zur Unterscheidung der Bauzustände auf einem
Blatt unbrauchbar sind, so ist folgendes Darstellungsverfahren
gewählt: In dem leeren Grundriß der Fundamente ist der je-
weilige Bauzustand durch Anlegen seiner Mauerzüge heraus-
gehoben. Diesem Plan ist dann der rekonstruierte Grundriß
gegenübergestellt, der nun auch die zugehörigen Bodenhöhen
enthält (Abb. 282—291). Bei den Aufrissen und Schnitten, die
ohnehin mehr als die Grundrisse von Annahmen ausgehen
58 Unter gewachsenem Boden wird in dieser Arbeit verstanden:
das nicht von Menschenhand berührte Erdreich.

müssen, sind schräge Projektionen auf die angenommene
Bildebene, die sich aus der Schiefwinkligkeit fast aller Bau-
zustände ergeben, unterdrückt bzw. nur da wiedergegeben,
wo sie baugeschichtlich wichtige Zustände zeigen, wie bei-
spielsweise die Achsenknickung des Witigowobaues.
In allen Plänen ist durch Darstellung oder Beischrift gekenn-
zeichnet, was festgestellt, was gesichert ergänzt und was ver-
mutet ist. Unter dieser Sicherung habe ich bei den Rekon-
struktionen die Fundlage so weit ausgewertet, als es die Ver-
antwortung vor der Wissenschaft gestattet.
1. Vorläufige Übersicht aus dem Grabungsplan und
einstweilige Zuweisungen
Der Grundrißplan der Fundamente macht auf den ersten
Blick den Eindruck verwirrender Mannigfaltigkeit (Abb. 280).
Bei eingehender Nachprüfung des Verlaufs der einzelnen
Fundamentzüge heben sich unverkennbar folgende Bau-
zustände ab (Farbtaf.):
1. Eine langgestreckte einschiffige Kirche, deren Nordwand
innerhalb des heutigen nördlichen Seitenschiffs, deren Süd-
wand etwa in der Achse des heutigen Münsters verläuft. Die
Westwand liegt innerhalb der heutigen Westvierung, etwa
zwei Meter vom östlichen Vierungsbogen entfernt. Das Ost-
ende dieser Kirche bildet ein nur wenig eingezogener recht-
eckiger Chor, dessen Ostwand mit der Ostwand des heutigen
Ostquerhauses zusammenfällt. Die Kirche ist, was schon ihre
überlange Form vermuten läßt, nicht einheitlich entstanden.
Die Trennungslinie liegt etwas östlich des ersten Ostpfeilers
der heutigen Mittelschiffsarkaden. In der Nordwand ist die
Trennungsfuge festgestellt. Von ihr aus gegen Osten hat die
Nordwand nach einem schmalen Pfeiler geringere Wand-
stärke. Der Westteil der Kirche hat einen rechteckigen Haupt-
raum und einen querliegenden Vorraum. Der Ostteil besteht
aus Hauptraum und Chor. An den Wandpfeilem des Chor-
bogens gegen das Schiff sind zwei Altäre angebaut. Im Chor
steht frei der Hochaltar und hinter dem südlichen Chorbogen-
pfeiler liegt ein gemauertes Grab. Vom Chor gegen Norden
in den anstoßenden Klosterflügel führt eine Treppe von
sieben Stufen hinab. Die Nordwand der Kirche muß Kreuz-
gangwand sein; ein Pfeiler der Klosterpforte liegt in der West-
flucht der Kirche neben dem großen nördlichen Turmfunda-
ment eines späteren Bauzustands (s. Nr. 3). Im westlichen
Vorraum liegen noch zwei Mauerschenkel eines Einbaues.
2. Eine Basilika, deren Langhaus die Nord- bzw. Kreuz-
gangwand der einschiffigen Kirche weiterbenutzte. Ihre West-
wand schließt mit der »Baufuge« in den zweiten Ostpfeilern
des heutigen Mittelschiffes ab. Die Vorlagen an dieser Wand


 
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