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hätte. Mit dem Bau des Westquerhauses wurde dann, ähnlich
wie an den Seitenschiffswänden, der Zwischenraum wieder
ausgefüllt. Die Mittelschifiswände wiesen also nach Abschluß
des Bernobaues zwei vom Boden bis zum Dach durchgehende
Fugen auf: die »Baufuge« an der Westgrenze der Kreuzbasi-
lika (Abb. 198) und die Fuge vom Abbruch Bernos (Abb. 199).
Anschlußfugen im Kieselmauerwerk sind aber nicht so leicht
und sicher herzustellen wie im Quader- oder Backsteinmauer-
werk, wo mit »Verzahnungen« ein statisch vollkommen ge-
nügender Verband erzielt wird. Im Kieselmauerwerk wird
auch durch unregelmäßiges Abbrechen und Beimauern kein
richtiger Verband erzielt (s. Glatburgers Beimauerungen an
der »Baufuge«) (Abb. 32.9). Mit den beiden statisch, nicht ge-
sicherten Fugen war mindestens in den westlichen Teil der
Mittelschiffswände eine Schwäche gekommen, die schließlich

zur Baufälligkeit führen mußte, auch ohne Beschädigung
durch Brand.
Schließlich ist noch über das Schicksal des Dachstuhls über
dem Mittelschiff bei der Wiederherstellung von 1688 folgen-
des zu sagen. Der über dem Mittelschiff westlich der Baufuge
liegende Teil des Dachstuhls mußte zweifellos abgebrochen
und nach Erstellung der Mauern wieder aufgeschlagen wer-
den. Der Zimmermann Ruoff hat sodann seinen neuen lie-
genden Stuhl sehr geschickt in die alten Gespärre so einge-
baut, daß die Mittelpfetten die Kehlbalken der letzteren
unterstützen. Die alten Deckenbalken des 13. oder 14. Jahr-
hunderts wurden aber — entgegen dem Voranschlag — belas-
sen und mittels Überzugs an den neuen Stuhl angehängt;
außerdem hat man sie spätestens jetzt mit den Gespärren
durch Schraubenbolzen verbunden (Hecht, Taf. 51).

D. SCHLUSSBEMERKUNG ZU DEN BAUUNTERSUCHUNGEN

Die Veränderungen im Bauzustand des Münsters, welche nach
den eben geschilderten Folgen des Brandes von 12.35 bis in die
Neuzeit noch eingetreten sind, bieten für seine Frühgeschichte
keinerlei Anhaltspunkte mehr. Ja man darf sie — trotz aller
Wertschätzung für die formal-künstlerische Anpassung des
gotischen Chors (Abb. 14, 48) an den Altbau — ganz allgemein
als baugeschichtlich höchst belanglos ansehen und auch daraus
die Berechtigung ableiten, die Untersuchungen auf die Früh-
zeit zu beschränken.
In der Einleitung zu dieser Arbeit habe ich darauf aufmerk-
sam gemacht, daß die Funde in ihrem Reichtum und ihrem
Ineinandergreifen nur von demjenigen geordnet und beurteilt
werden können, der an den Bauuntersuchungen in ihrem gan-
zen Umfang tätig beteiligt war und dadurch in der Lage ist,
sie zu übersehen. Darüber hinaus wird die Arbeit selbst ge-
zeigt haben, daß es zur Erklärung der Funde unerläßlich war,
die Quellen heranzuziehen. Der gewählte Gang der Beweis-
führung, bei dem zunächst die Quellen im Zusammenhang
behandelt und auf ihre Aussagen zur Baugeschichte kritisch
untersucht wurden, hat sich als fruchtbar erwiesen. Die Zu-
sammenschau der so gewonnenen vorläufigen Ergebnisse mit
dem Befund am Bau ermöglichte dann die endgültige Erklä-
rung. Es hat sich gezeigt, daß die so karge Überlieferung doch
genügt, um mit ihr aus dem Befund die frühe Baugeschichte
des Reichenauer Münsters in einem Reichtum -wieder auf-
erstehen zu lassen, der vorher nicht geahnt werden konnte.
Aus dieser Fülle der Ergebnisse erwächst nun die Aufgabe, die-
jenigen herauszuheben, welche über den Einzelfall und die
örtliche Bedeutung hinaus allgemeingültigen Wert besitzen
und zu prüfen, welche Fragen der Forschung zur Entwicklungs-
geschichte des christlichen Kirchenbaues durch sie entschei-
dend geklärt werden. Hier zeigt es sich nun, daß über alle
andern noch so bemerkenswerten Funde und Einsichten, sei
es die Feststellung der ältesten erhaltenen Kreuzbasilika und
ihres einzigartigen Chorschlusses, des Weiterlebens der anti-
ken Technik in den Fußbodenheizungen oder die Aufklärung
des Aachen-St. Galier Kirchenplans, um nur diese weit aus-
einanderliegenden Gebiete zu nennen, sich eine Frage von
überragender Bedeutung erhebt: Die Querhausfrage im weite-
sten Sinne. Sie soll als Abschluß der Arbeit behandelt wer-
den nach den Erkenntnissen, welche die vorhergehenden
Untersuchungen geliefert haben. Dabei wird Gelegenheit sein,

auf drei Arbeiten, eine deutsche und zwei französische, zum
frühen Kirchenbau einzugehen, die während und nach der
Abfassung dieser Arbeit erschienen sind. Von ihnen ist die
von J. P. Kirsch158 ganz dem Gegenstand gewidmet. Bei der
zweiten von Jean Hubert159 tritt das Querhaus in seiner Be-
deutung hinter den Entwicklungsfragen des Chorhaupts und
der Westbauten zurück. Die dritte von Gabr. Plat160 schenkt
ihm kaum Beachtung. Da außerdem bei Kirsch die Ursprungs-
frage unentschieden gewesen, in den beiden anderen Arbeiten
überhaupt außer Betracht geblieben ist, wird dadurch schon
äußerlich die Unsicherheit der Beurteilung sichtbar, welcher
die Querhausfrage bis heute unterliegt.
Ursprung, Formentwicklung und Gebrauchswandel des
Querhauses an der christlichen Basilika
In der christlichen Basilika der Frühzeit bot die halbrunde
Apsis, die in dem antiken Vorbild für den Richter und seine
Schöffen ausgereicht hatte, außer dem Altar nur Platz für den
Bischof und die am Altardienst beteiligten Priester. Der Cho-
rus psallentium mußte vor Apsis und Altar ins Kirchenschiff
gelegt und mit Schranken gegen das letztere abgeschlossen
werden. Obwohl unentbehrlicher Bestandteil der Kirche war
er dort unbequem, weil er den Raum des Schiffs, das nicht
unbegrenzt verlängert werden konnte, beschränkte, den Blick
auf den Altar, auch bei dessen starker Erhöhung über den
Schiffsboden, verdeckte und die kirchlichen Aufzüge behin-
derte. Zur Abhilfe gab es zwei Wege. Der erste ist die Erweite-
rung des Sanktuariums durch Zurückverlegung der Apsis nach
Osten und Einfügen eines Zwischenstücks, des Chorarms.
Diese Lösung erscheint schon früh im Orient, Afrika und
Italien, z. B. in Karthago vor 438 (Plat S. 53) und hatte den
Vorteil, daß neben dem Chorraum Nebenräume, Prothesis
und Diakonikon, angelegt werden konnten, die neben ande-
ren Zwecken gestatteten, den Klerus beliebig ein- und auszie-
158 Joh. Peter Kirsch, Das Querschiff in den stadtrömischen christ-
lichen Basiliken des Altertums (in: Pisciculi, Franz Josef Dölger
dargeboten, hrsg. von Th. Kiauser und Adolf Rücker. Münster
i. Westf. 1939).
159 Jean Hubert, L'art pre-roman. Paris, Les editions d'art et
d'histoire, 1938.
160 Gabriel Plat, L'art de bätir en France des Romains ä l'an 1100,
d'apres les monuments anciens de la Touraine de 1'Anjou et du
Vendomois. Paris, Les editions d'art et d'histoire, 1939.

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