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IV. DIE BAUUNTERSUCHUNGEN

Die Untersuchungen waren nicht nur Ausgrabungen, sondern
erstreckten sich gelegentlich der Wiederherstellungsarbeiten
auf den ganzen Baukörper. Die Grabungen im besonderen
wurden nach den heute bei archäologischen Untersuchungen
gebräuchlichen Grundsätzen durchgeführt, wobei aber der
Feststellung von Schichtfolgen die Tatsache hinderlich war,
daß der Untergrund der Kirche bis ins 18. Jahrhundert immer
wieder durch die Bestattungen durchwühlt worden ist. Die
Unterscheidungsmerkmale sind bei jedem Bauwerk verschie-
den, je nach dessen Technik und Gestaltung,- im vorliegenden
Fall ergab sich folgende bemerkenswerte Reihenfolge ihres
Werts für die baugeschichtliche Ausdehnung:
r. Mauerzüge; Zusammenhang, gegenseitige Lage und Über-
deckung, Baufugen, Abbruchkanten, Achsenzugehörigkeit.

2. Böden; Höhenlage, Baustoffe.
3. Mauertechnik; Baustoffe, Stärken, Mörtelbeschaffenheit.
4. Architektur; Einzelheiten.
5. Maßstäbe.
6. Zubehör.
Beim Fortschreiten der Arbeiten wurde grundsätzlich allen
Erklärungsmöglichkeiten des einzelnen Funds nachgegangen
und streng vermieden, eine bestimmte eigene oder fremde
Auffassung zu verfolgen. Die im folgenden vorgetragene Dar-
stellung der frühen Baugeschichte des Münsters ist erwachsen
aus der gewissenhaften Aufnahme des Bestands während der
Untersuchungen und aus der Zusammenschau der Fundmasse
und der Quellen nach ihrem Abschluß.

A. ORTSBESCHREIBUNG DES KLOSTERS

1. Lage
Das Kloster Reichenau war, als Gründung der fränkischen
Machthaber im unterworfenen alemannischen Gebiet und
Reichsabtei, von Anfang an mit dem großen geschichtlichen
Geschehen verbunden. Auf die Dauer gesehen war es aber
eine Fehlgründung. Seine Insellage war nur in Kriegszeiten
(Hunneneinfall von 926, Dreißigjähriger Krieg] ein Vorteil,
sonst aber durch die Abgelegenheit von den großen Verkehrs-
straßen ein schwerer wirtschaftlicher Nachteil, dem das Kloster
vergeblich durch Marktgründungen auf dem Festland zu be-
gegnen suchte. Politisch hat die unmittelbare Nachbarschaft
des alten und mächtigen Bischofssitzes Konstanz die Entwick-
lung gehemmt und schließlich zur Einverleibung geführt,
örtlich ergaben sich aus der Erstgründung gleichfalls Nach-
teile, die hier erörtert werden müssen, weil sie wesentlichen
Einfluß auf die Baugeschichte des Klosters geübt haben.
Das Kloster liegt am Ufer des Gnadensees am einen Ende
des quer über die Insel zum Rhein laufenden Weges43. Der
Platz ist außerdem da gewählt, wo die einzige dauernd
fließende Quelle44, der Pirminsbrunnen, auf dieser Seite der
Insel entspringt. Die Höhenlage dieser Quelle ist aber ziem-
lich niedrig, nur rund 3V2 m über Mittelwasser des Untersees
(394,9 m Meereshöhe). Da nun die Wasserstände bei Hoch-
wasser bis auf rund 397 m ansteigen können, so ist der Unter-
grund des Geländes, auf dem sich Pirmin ansiedelte, feucht.
Die Bauveränderungen in Kloster und Münster bedeuten des-
halb stets auch ein Höherlegen teilweise um beträchtliche
Höhen. Der Baugeschichtsforschung erwuchs dadurch der
große Vorteil, daß so die Fülle von Bauresten gerade der
ältesten Zustände erhalten geblieben ist.
Der Bauplatz befindet sich im Diluvium an der Grenze des
43 Dieser Weg bildete mit den Fähren im Rhein und Gnadensee
die einzige Fernverbindung, die über die Insel lief, und zwar vom
Schweizer Seerücken über die Bodanhalbinsel in den Linzgau und
Schwarzwald. Die heutige Zufahrtsstraße wurde erst in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts angelegt. Den Zustand vorher zeigt
die Abbildung Seite 606 in KAR.
44 Uber die geologischen Verhältnisse, denen sie ihr Dasein ver-
dankt und die den Wassermangel auf der Insel bewirkten, siehe
W. Schmidle, Die diluviale Geologie der Bodenseegegend, 1914,-
derselbe in KAR S. 3—9 und Jahresheft der Bad. Heimat 1926 des
Landesvereins Bad. Heimat.

Übergangs von den Beckentonen zu den höher liegenden
Flußkieselablagerungen. Der Baugrund lieferte die einzigen
mineralischen Baustoffe der Insel: Sand und Kies. Die Kiesel
geben bis in die späteste Zeit den Mauerstein ab. Die älteren
Bauabschnitte verwenden sie in möglichst großen Abmessun-
gen, wo es die Steinart gestattete auch zurechtgehauen, und
daneben plattige Geschiebstücke zu besonders beanspruchten
Bauteilen wie Pfeilern. In dem Maß als die Insel nach großen
Kieseln abgesucht war, werden kleinere verwendet, was dann
im 11. Jahrhundert (Bemobau) zu einer auch formal aus-
geprägten Kieselbauweise führte. Zu den spärlichen Architek-
turteilen verwendete man in den frühen Abschnitten Werk-
steine verschiedener Art, offenbar wie sie der Frondienst aus
den verschiedenen Besitzungen des Klosters heranbrachte:
Grobkalk vom Randen, Kalktuff vom Seerücken, sowie ein-
zelne Buntsandsteinstücke aus entlegenen Gegenden. Vom
io./ii. Jahrhundert an vereinzelt, vom 12. Jahrhundert an
ausschließlich tritt der Molassesandstein von Rorschach auf.
Sein Abfall diente dann auch zum Mauern. Die Verwendung
von Haustein beschränkt sich aber bis zum 15. Jahrhundert
auf einzelne Architekturglieder, im Mauerwerk bleibt bis
dahin der Kiesel, teils verputzt (früheste Zustände) teils un-
verputzt bzw. nur ausgefugt (Bernobau) (Abb. 68, 211).
2. Der Gemarkungsplan von 1702 und seine Rekonstruktion
Der älteste erhaltene Lageplan des Klosters ist der von 1702
mit dem dazu gehörigen Randbild (Abb. 3, 4). Ein Vergleich
mit dem Katasterplan von 1871—75 (Abb. 277) ergibt, daß
zwar die Bauanlage der Pfalz mit der Pelagiuskirche bis auf
zwei Gebäude und die St. Johanniskirche verschwunden sind,
daß sich aber im Bestand der übrigen Gebäude und ihrer
Umgebung fast nichts geändert hat. Zu den abgebrochenen
Gebäuden besitzt das General-Landesarchiv einen Aufnahme-
plan der Pfalz45 und einen Lageplan der Kirche St. Johann mit
dem Friedhof46. Trägt man die Gebäude mit den dort an-
gegebenen Maßen in den Katasterplan ein, so zeigt sich, daß
bei der Pfalz die Gebäudegrenzen in den Linien der Auf-
teilungsgrundstücke erhalten sind und daß bei St. Johann die
45 G. L. A. Baupläne Reich. Mittelzell Nr. 19 gez. A. v. Ende.
46 G. L. A. Zugang 1906 Nr. 20, Fasz. 1923, den Verkauf der ge-
schlossenen Kirche St. Johann betr. Plan vom 28. Wintermonat
1823.

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