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nannten Entstehungszeit zu zweifeln, besonders auch deshalb,
weil das Fuggerbild einen hölzernen Dachreiter (allerdings acht-
eckig, während der erhaltene Unterbau nur viereckig ist; die
Vierecks-Ecken liegen aber in beiden Fällen auf den Firsten)
zeigt. Da aber das Gebälk der Vierung sicher nicht jünger ist
als das des Mittelschiffs, für das oben aus der Gestalt der Wen-
deltreppe zum Lettner die Zeit nach dem Brand von 1235 in
Anspruch genommen wurde, so rückt der Dachstuhl über dem
Mittelschiff tatsächlich ins 12. Jahrhundert und zum Umbau
Diethelms v. Krenkingen. Eine Probe auf diesen Schluß läßt
der Dachstuhl selbst zu und zwar durch seine Zimmermanns-
zeichen. Sie bestehen aus zwei grundverschiedenen Arten, die
außerdem noch verschieden angebracht sind (Abb. 251, 249).
Die erste Art bringt die Zeichen beiderseits der Stöße zweier
Hölzer an und bildet sie aus kantigen Einschlägen mit dem
Stechbeitel und zwar: Striche von 1—9, rechte und spitze Win-
kel, rechteckige und trapezförmige U, T, Y, Kreuze und Pfeile.
Die zweite Art setzt die Zeichen auf die Mitte der Hölzer, ver-
wendet nur römische Zahlen teils normal, teils als Spiegelbild
und sticht sie mit dem runden Hohleisen ein. Die erste Art
umfaßt, von Westen gerechnet, die Gespärre 9 und 11—32, die
zweite die Gespärre 2—8. Gespärr r stellt sich als Mischbil-
dung dar, indem es Zeichen der ersten Art, die aber hier römi-
sche Zahlen sind, nur reicher als diese, auf die Mitte der Höl-
zer setzt. Gespärr 10 hat überhaupt kein Zeichen, soll aber in
der Reihenfolge zwei Striche erhalten. Bei der ersten Art sind
meist Striche und Figuren am gleichen Gespärr zusammen ver-
wendet und die Reihenfolge der Gespärre wird durch die Zahl
der Striche gekennzeichnet, die dreimal von neuem beginnt
(r—5, 1—9, 1—7); die beiden östlichen Gespärre haben nur
Figuren. Bei der zweiten Art läuft die Numerierung einmal
von links nach rechts, dann von rechts nach links; die Nume-
rierung XXVI—XXX ist zweimal vorhanden (Gespärr 2 und 5).
Das gemischt gebildete Gespärr 1 ist spiegelbildlich numeriert.
Merkwürdig ist, daß bei beiden Arten die Fußbänder kein Zei-
chen erhalten haben.
Sind nun die beiden Arten gleichzeitig und aus welcher Zeit
stammen sie? Zunächst läge es nahe, daran zu denken, daß die
Kennzeichnung der Gespärre mit römischen Ziffern aus der
Zeit Glatburgers stammen, der über dem zu erneuernden
Langhausteil den Dachstuhl wohl abnehmen lassen mußte,
ehe er die Mauern neu aufführte. Diese Vermutung ist aber
gegenstandslos. Denn erstens liegt die Grenze zwischen beiden
Arten nicht über der »Baufuge«, zweitens müßten dann neben
den neuen Zeichen auch die alten zu finden sein (verschiedene
Art der Anbringung!), was nicht der Fall ist, und drittens
hatten Glatburger bzw. sein Zimmermann Ruoff gar keine
Veranlassung, neue Zeichen einzuhauen, weil sie sich ja nach
den alten hätten richten können.
Andererseits ist es ganz unwahrscheinlich, daß man zur glei-
chen Zeit zwei so verschiedene Systeme der Kennzeichnung
verwendet hätte, wie sie der Dachstuhl zeigt. Es muß ein zeit-
licher Unterschied vorliegen, dessen Ursache nur in dem
Brand von 1235 liegen kann. Das Gespärr 9 bezeichnet die
Grenze, bis zu welcher der Brand — über den Ostvierungs-
bogen Bernos hinweg — Schaden verursacht hat. Daß die Ge-
spärre diesseits und jenseits dieser Grenze einander genau
gleichen, ist kein Wunder in Anbetracht des geringen zeit-
lichen Abstands von zwei Menschenaltern; auch am Konstan-

zer Münster sind die östlichen beim Brand von 1299 vernich-
teten Teile des Dachstuhls so genau nach den alten des 12. Jahr-
hunderts erneuert worden, daß man sie ebenfalls nur nach den
Zimmermannszeichen unterscheiden kann.
Der Dachstuhl über dem Mittelschiff ist also nach allen Anzei-
chen dem Bau Diethelms v. Krenkingen von 1172 zuzuweisen.
Selbst wenn die Beweisführung nicht stichhaltig wäre, so
müßte zu den Verspannbalken ein Dachstuhl rekonstruiert
werden, der wenigstens in der Konstruktion gleich ist. Er
wäre zu entwickeln aus dem oben beschriebenen Dachstuhl
über dem Südflügel des Ostquerhauses, dem mindestens ein
Dachfuß in Dreiecksform mit senkrechtem Fußband, wahr-
scheinlich auch gerade Kopfbänder, zu geben wären. Daß der
jetzige Dachstuhl sich im Holz so gut erhalten hat, kommt
von der Verwendung splintfreien Eichenholzes.
Ein schwerwiegendes Bedenken, das nicht verschwiegen wer-
den soll, besteht allerdings. Wenn der Dachstuhl der Zeit Diet-
helms v. Krenkingen zugehört, warum hat dieser im Westteil,
wo er entweder den vermuteten neuen steilen Dachstuhl Ber-
nos oder den flachen des Witigowo-Heitobaues beseitigen
mußte, nicht auch Verspannbalken angebracht, sondern mit
seinem vierten an der «Baufuge« aufgehört? Die Frage besteht
in gleicher Weise, wenn man den Dachstuhl — nicht die Spann-
balken, die bestimmt zum Mauerwerk des 12. Jahrhunderts
gehören — erst in die Zeit unmittelbar nach dem Brand (Kon-
rad v. Zimmern), den Lettner mit Treppe und der zugehörigen
Einlegung der Dachgebälke ins 14. Jahrhundert (Diethelm v.
Kastel) verschieben wollte (Sehr. Qu. 41). War der Anblick
des Mittelschiffs mit dem Unterschied der Spannbalken er-
träglich? So bleibt ein Rest in der Beweisführung zwar nicht
zum Charakter, wohl aber zum Alter dieses Dachstuhls be-
stehen, der bis auf weiteres nicht aufgeht.
Weiter sind die Fragen zu erörtern, ob die Erneuerung der Mit-
telschiffswände (Abb. 281) westlich der »Baufuge« im Jahr
1688 im Zusammenhang steht mit dem Brand von 1235 oder
ob wie J. Hecht in seinem Nachtrag (S. 398) behauptet, Glat-
burger überhaupt nur Ausbesserungen vollzogen habe, der
Bauteil aber von einer Erneuerung nach dem Brand des
13. Jahrhunderts stamme. Zunächst hat die Bauuntersuchung
gezeigt, daß Glatburger die Mittelschiffswände vollständig er-
neuert hat und zwar von den rechteckigen Pfeilerbasen Witi-
gowos an, auf die er quadratische Pfeiler setzte (Abb. 97, 309),
bis zum Dachfuß hinauf. Entgegen dem Voranschlag und
offenbar aus Sparsamkeit sind die Mauern nicht mit Back-
steinen, sondern mit Abbruchsteinen, denen nur wenig Back-
steine beigemischt sind, ausgeführt. Einige mitvermauerte
Hausteinbruchstücke mit Profilen des späteren Mittelalters
zeigen, daß diese Mauern nicht aus dem 13. Jahrhundert stam-
men können. Daß die von Glatburger abgebrochenen Wände
nicht dem 13. Jahrhundert zugehörten, beweist auch das Fug-
gerbild, das am ganzen Hochschiff einheitliche stehende Rund-
bogenfenster enthält (Abb. 2).
Glatburger hat also die von Witigowo an die Hochschiffs-
wände der Kreuzbasilika angefügten »gleichen Mauern« ab-
gebrochen. Sie befanden sich aber nicht mehr ganz im Zustand
des 10. Jahrhunderts. Denn Berno, der den Westbau Witigo-
wos, also auch die Westwand des Langhauses vollständig nie-
derlegte, mußte auch die erste Westarkade Witigowos abtra-
gen, weil sie während der Bauzeit kein Widerlager gehabt

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