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Litteraturbericht.
stufen angehörende Bildnisse von Dürer’s Agnes hervorrufen, vermögen alle
»Rettungen« derselben nur schwer aufzukommen.
Das Brustbild eines Mannes, von 1527, im Britischen Museum (Sloane 51)
hält Ephrussi (p. 328, Anm. 1) für dasjenige eines beliebigen Engländers;
doch haben wir offenbar hier den prächtigen Kopf Varnbühler’s vor uns, freilich
in durchaus anderer Stellung als der Holzschnitt, zu welchem ja die Vor-
zeichnung von 1522 in der Albertina sich befindet, denselben zeigt.
Von Zeichnungen, die wir vermissen, wollen wir nur die paar folgenden
anführen, weil uns deren Bedeutung eine eingreifende zu sein scheint.
Die Darstellung Christi im Tempel, Federzeichnung, in einzelnen
Theilen getuscht, in Folio, im Britischen Museum (Sloane 94). Es ist eine der
Disposition der Figuren nach nur wenig, aber in glücklicher Weise modificirte
Copie nach jener Composition Schongauer’s, die uns in der bekannten, jedoch
schwerlich von Letzterem selbst ausgeführten Zeichnung der Albertina erhalten
ist. Verändert ist die Stellung des Mannes mit der Kerze im Vordergrund;
hinter der Maria stehen nur zwei Frauen, jedoch kein Mann. Die Formen-
gebung ist zum Vortheil des Ganzen durchaus aus der Schongauer’schen Mager-
keit in liebliche Dürer’sche Fülle frei übersetzt. Dass dieses Blatt aus Dürer’s
Wanderzeit stamme, scheint eine alte, etwas verwischte Beischrift zu bezeugen:
Albrecht Durer hatt dis stück | gemacht jn seinen ledigen wanderjorn. Die
Vorlage hierfür mag er in Colmar, bei Schongauer’s Brüdern, noch vorgefunden,
aus ihr vielleicht sogar die erste Idee zu seinem Marienleben, welches ähnliche
Raumbenutzung zeigt, geschöpft haben. Jedenfalls ist diese Zeichnung von
äusserster Wichtigkeit als die einzige nach jenem von Dürer so hoch verehrtem
Meister gefertigte.
Die Thaten des Herakles, zwölf kleine Runde von 95 mm Durchmes-
ser, in der Bremer Kunsthalle; gehöhte Pinselzeichnungen in Tusche, auf grün
präparirtem Papier. Obwohl diese Blätter, mit Ausnahme von zweien, sämmt-
lich Dürer’s Zeichen und die Jahreszahl 1511 tragen, hat ihr ehemaliger Be-
sitzer, dei\ Senator Klugkist, sie als Werke des Lucas van Leyden bezeichnet,
und diese Benennung haben sie auch bisher bewahrt, infolgedessen sie
Ephrussi wahrscheinlich gar nicht zu Gesicht gekommen sein werden. Sie
gehören aber hinsichtlich des Reichthums der Composition und der Feinheit
der Ausführung zu den vorzüglichsten Schöpfungen des Meisters, gleich jenen
allgemein bekannten Doppelbildern des Simson und der Auferstehung Christi,
welche er nur um ein Jahr früher in durchaus derselben Technik fertigte.
Ihre Erhaltung ist eine sehr gute. — Das erste Blatt stellt die Geburt des
Helden in äusserst realistischer Weise dar; unter der Treppe, die zur Wochen-
stube emporführt, hockt ein nacktes junges Weib (Juno?), das in Körperbau
und Gesichtsschnitt durchaus mit der Eva der gleichzeitigen kleinen Holz-
schnitt-Passion übereinstimmt. — Darauf folgen die Arbeiten des Herakles, öfters
mehrere, jedoch nicht immer die zeitlich Zusammengehörenden, auf einem
Blatt vereinigt, in solcher Weise, dass stets nur ein Vorgang das Hauptinter-
esse in Anspruch nimmt, die andern Episoden aber völlig zurücktreten. Es
lassen sich constatiren: der nemäische Löwe; — die lernäische Schlange;
Litteraturbericht.
stufen angehörende Bildnisse von Dürer’s Agnes hervorrufen, vermögen alle
»Rettungen« derselben nur schwer aufzukommen.
Das Brustbild eines Mannes, von 1527, im Britischen Museum (Sloane 51)
hält Ephrussi (p. 328, Anm. 1) für dasjenige eines beliebigen Engländers;
doch haben wir offenbar hier den prächtigen Kopf Varnbühler’s vor uns, freilich
in durchaus anderer Stellung als der Holzschnitt, zu welchem ja die Vor-
zeichnung von 1522 in der Albertina sich befindet, denselben zeigt.
Von Zeichnungen, die wir vermissen, wollen wir nur die paar folgenden
anführen, weil uns deren Bedeutung eine eingreifende zu sein scheint.
Die Darstellung Christi im Tempel, Federzeichnung, in einzelnen
Theilen getuscht, in Folio, im Britischen Museum (Sloane 94). Es ist eine der
Disposition der Figuren nach nur wenig, aber in glücklicher Weise modificirte
Copie nach jener Composition Schongauer’s, die uns in der bekannten, jedoch
schwerlich von Letzterem selbst ausgeführten Zeichnung der Albertina erhalten
ist. Verändert ist die Stellung des Mannes mit der Kerze im Vordergrund;
hinter der Maria stehen nur zwei Frauen, jedoch kein Mann. Die Formen-
gebung ist zum Vortheil des Ganzen durchaus aus der Schongauer’schen Mager-
keit in liebliche Dürer’sche Fülle frei übersetzt. Dass dieses Blatt aus Dürer’s
Wanderzeit stamme, scheint eine alte, etwas verwischte Beischrift zu bezeugen:
Albrecht Durer hatt dis stück | gemacht jn seinen ledigen wanderjorn. Die
Vorlage hierfür mag er in Colmar, bei Schongauer’s Brüdern, noch vorgefunden,
aus ihr vielleicht sogar die erste Idee zu seinem Marienleben, welches ähnliche
Raumbenutzung zeigt, geschöpft haben. Jedenfalls ist diese Zeichnung von
äusserster Wichtigkeit als die einzige nach jenem von Dürer so hoch verehrtem
Meister gefertigte.
Die Thaten des Herakles, zwölf kleine Runde von 95 mm Durchmes-
ser, in der Bremer Kunsthalle; gehöhte Pinselzeichnungen in Tusche, auf grün
präparirtem Papier. Obwohl diese Blätter, mit Ausnahme von zweien, sämmt-
lich Dürer’s Zeichen und die Jahreszahl 1511 tragen, hat ihr ehemaliger Be-
sitzer, dei\ Senator Klugkist, sie als Werke des Lucas van Leyden bezeichnet,
und diese Benennung haben sie auch bisher bewahrt, infolgedessen sie
Ephrussi wahrscheinlich gar nicht zu Gesicht gekommen sein werden. Sie
gehören aber hinsichtlich des Reichthums der Composition und der Feinheit
der Ausführung zu den vorzüglichsten Schöpfungen des Meisters, gleich jenen
allgemein bekannten Doppelbildern des Simson und der Auferstehung Christi,
welche er nur um ein Jahr früher in durchaus derselben Technik fertigte.
Ihre Erhaltung ist eine sehr gute. — Das erste Blatt stellt die Geburt des
Helden in äusserst realistischer Weise dar; unter der Treppe, die zur Wochen-
stube emporführt, hockt ein nacktes junges Weib (Juno?), das in Körperbau
und Gesichtsschnitt durchaus mit der Eva der gleichzeitigen kleinen Holz-
schnitt-Passion übereinstimmt. — Darauf folgen die Arbeiten des Herakles, öfters
mehrere, jedoch nicht immer die zeitlich Zusammengehörenden, auf einem
Blatt vereinigt, in solcher Weise, dass stets nur ein Vorgang das Hauptinter-
esse in Anspruch nimmt, die andern Episoden aber völlig zurücktreten. Es
lassen sich constatiren: der nemäische Löwe; — die lernäische Schlange;