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als zwanzig Jahre sind verflossen, seit von Alois Riegls großangelegtem Werke
j W über „Die spätrömische Kunstindustrie nach den Funden in Österreich-Ungarn“ der erste
Teil der Öffentlichkeit übergeben wurde. Den Ausgangspunkt der Arbeit hatte die
durch äußeren Anlaß gestellte Aufgabe gebildet, für eine Publikation von Denkmälern der antiken
Kunstindustrie in Österreich-Ungarn den auf die nachkonstantinische Zeit und die sogenannte
Völkerwanderungsperiode entfallenden Anteil zu übernehmen. Aber bei der Sammlung und
Entwirrung des Materiales haben sich Riegls tief bohrendem Geiste so viel vorher kaum geahnte
Erfordernisse der Forschung aufgedrängt, daß das Werk weit über den ursprünglichen Rahmen
hinaus zu einer Untersuchung der Gesamtkunst in spätrömischer Zeit emporwuchs; ihre
Schöpfungen boten Riegl die Unterlage, um die letzten psychologischen und historischen
Triebkräfte kunstgeschichtlichen Geschehens aufzudecken und zu zeigen, wie aus ideellen Not-
wendigkeiten mit der Folgerichtigkeit eines Naturgeschehens der Wandel der künstlerischen
Formensprache sich erklärte. Auch von denen, die Riegls Betrachtungsweise und Folgerungen
nicht überall sich anzuschließen vermögen, ist anerkannt, daß sein Werk nicht nur für das
Verständnis des Kunstschaffens einer bis dahin in ihrer Eigenart kaum erfaßten Periode neue
Grundlagen geschaffen, sondern auch für die Auffassung des Verlaufes der kunstgeschichtlichen
Entwicklung überhauptWirkungen ausgelöst hat, wie kaum ein zweites geschichtlicher Betrachtung
des Kunstgeschehens gewidmetes Werk unserer Tage. Ihre letzte Klarstellung und Erprobung
sollten die von Riegl im ersten Teil des Werkes niedergelegten Gedanken an dem Studium
des für den zweiten Teil bereitgelegten kunstindustriellen Materials der sogenannten Völker-
wanderungszeit und der Karolingerzeit finden.
„Der erste Teil“, so hat Riegl selbst den neugestalteten Arbeitsplan in der Einleitung
formuliert, „hatte die Frage nach den Schicksalen der Kunstindustrie (vom 3. Jahrhundert n. Chr.
ab) bei den bisherigen Trägern der Entwicklung, den Mittelmeervölkern, zu beantworten, der
zweite hingegen das Maß des schöpferischen Anteils der damals in die Kulturwelt neu ein-
getretenen nordischen Barbarenstämme an der Gestaltung der bildenden Kunst in den fünfhalb
Jahrhunderten zwischen Constantin dem Großen und Karl dem Großen festzustellen. Der erste
Teil sollte die verschiedenen Fäden aufdecken, die zur vergangenen Antike zurückleiten, der
zweite Teil die frühesten Keime der mittelalterlichen Kunst bloßlegen, wie sie sich später, vom
9. Jahrhundert ab, bei den germanischen und romanischen Völkern Europas entwickelt haben.“
Die vorbereitenden Arbeiten auch für diesen zweiten Teil waren schon bei der Vollendung
des ersten Teiles weit gediehen gewesen. Wie Riegl den k'ortgang des Werkes sich dachte,
 
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