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VII.

DER TASSILOKELCH IN KREMSMÜNSTER.

HLS eines der hervorragendsten Denkmäler des karolingischen Kunstgewerbes gilt von
jeher mit Recht der im Schatze des Stiftes Kremsmünster aufbewahrte Kelch des Tassilo. *
Besitzen wir doch in ihm — ganz abgesehen von der großen Seltenheit und hohen künst-
lerischen Dualität der Arbeit — ein fest datiertes Stück, dessen Entstehungsort wir zudem mit
einiger Sicherheit anzugeben vermögen.
Der Kelch, von demTaf. XXII eine farbige Abbildung in natürlicher Größe bringt und dessen
Details die Tafeln XXIII bis XXV auf Grund vieler photographischer Aufnahmen abgerollt wieder-
geben, trägt am Fuß die Inschrift „Tassilo clux fortis + Liutpirc virga regalis+ “. Die Stifter des
Kelches waren mithin Tassilo, der letzte Agilolfinger, und seine Gemahlin Liutpirc, die Tochter
des letzten Langobardenkönigs Desiderius. Da Tassilo 788 die bayerische Herzogswürde verlor
und von Karl dem Großen ins Kloster geschickt wurde, muß der Kelch vor 788 in Auftrag ge-
geben sein. Wir können seine Entstehungszeit jedoch noch enger begrenzen, denn 777 gründete
Tassilo Kremsmünster und nichts liegt näher, als anzunehmen, daß er den Kelch dorthin stiftete,
wo er noch heute verwahrt wird.

Es ist möglich, daß der Kelch mit dem im Schatzinventar des Abtes Sigmar1 2 (? 1012 —1040)
erwähnten „calix aureus cum patena“ und dem von Bernardus Noricus3 im Beginn des 14. Jahr-
hunderts vermerkten „calix aureus“ identisch ist, doch lassen sich diese vagen späteren Er-
wähnungen nicht sicher auf ihn beziehen.
Der kupferne Kelch zeigt die in karolingischer Zeit gebräuchliche Becherform, wie wir sie
ähnlich bei dem sogenannten Reisekelche des heiligen Ludger im Münsterschatze zu Werden4,
der nach dem Chronogramm 788 entstand, sowie dem von Gundbald verfertigten Kelche im
Museum zu Ödenburg5 wiederfinden. Die stark ausgebauchte Cuppa ist durch eine Perlreihe von
dem kräftigen Nodus geschieden, der in weichem Fluß in den Fuß übergeht.
Fast alle Arten karolingischen Kunstgewerbes sind an diesem Werke vertreten. Der tech-
nische Vorgang dürfte sich folgendermaßen abgespielt haben: zunächst wurden Cuppa und Nodus
gegossen, der Fuß gehämmert; alle drei Teile sind aus Kupfer. Vor dem Zusammensetzen sind


1 Vgl. den Artikel von F. Bock in den Mitt, der Zentr.-Komm. Bd. 4 (Wien 1859), S. 6 — 13. 6. und Falke in Lehnerts Geschichte des
Kunstgewerbes (Berlin, Martin Oldenburg), S. 214.
2 Im Codex Millenarius minor, fol. 70 b.
3 Cod. Crem. 401, fol. 22 a. Weitz, M. G. S. S., XXV., p. 669.
4 Vgl. „Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz“, Bd. II., S. 99, Fig. 44; Bonner Jahrbücher 92, S. 65 (Clemen).
5 Vgl. Hampel III, 324.
 
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