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Rooses, Max
Geschichte der Malerschule Antwerpens: von Q. Massijs bis zu den letzten Ausläufern der Schule P. P. Rubens — München, 1881

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https://doi.org/10.11588/diglit.20661#0352
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X. Die Rubens’fche Schule.

in den Liggeren der St. Lukasgilde von Antwerpen als Schüler des Pieter
VAN AVONT eingefchrieben. Dieter war 1600 zu Mecheln geboren, hatte fich
1622/23 hi die St. Lukasgilde eintragen laffen und malte in fehr gefälliger
Art Landfchaften mit Figiirchen. Wouters blieb nicht lange bei feinem erften
Meifter, indem er bei Rubens, welcher als eine neue Sonne an dem Kunft-
himmel die kleineren Sterne anzog, feine Studien fortfetzte. 1634/35 wurde
er als Freimeilter in die St. Lukasgilde aufgenommen, mufste fich aber bald
darnach auf Reifen begeben haben, da wir ihn zu Anfang 1637 in Deutfchland
finden, von wo er mit dem Gefandten des Kaifers Ferdinand II. nach England
reifte. Dort erlangte er den Titel eines Malers des Prinzen von Wales, nach-
maligen Königs Karl II. In einem der königlichen Paläfle fchmückte er eine
Decke mit einem Herkules und andere Gottheiten darftellenden Gemälde.*
Auch hier kann er nicht lange verweilt haben, da wir ihn Rubens’ letztwilliger
Anordnung zufolge am 26. Auguft 1641 nach Steen reifen fehen, um die dort
befindlichen Malereien zu fchätzen. Seit diefer Zeit blieb er in Antwerpen,
wo er am 21. Juli 1644 mit Maria Doncker, einem reichen Mädchen, getraut
wurde, die ihm fechs Kinder, alle weiblichen Gefchlechts, fchenkte. Im Jahre
164g wohnte Wouters nächft dem Meir, von wo er nach dem gegenwärtigen
Rubensftraat überfiedelte, in welchem er noch wohnhaft war, als er Ende
1659 oder Anfang 1660 ftarb.

Frans Wouters war ein Maler von wirklichem Talent. Seine Zeitgenoffen
rühmten ihn der Lieblichkeit und Weichheit feiner nackten Figiirchen wegen,
richtiger wäre es gewefen hervorzuheben, dafs er in feinen Figuren trotz der
kleinen Verhältniffe des Rubens Kraft und Glut beibehielt. Auch als Land-
fchaftsmaler findet man ihn ehrenvoll erwähnt. Leider ift in den öffentlichen
Sammlungen Europa’s keine einzige Probe der letzteren Art feiner Thätigkeit
erhalten, wenn man nicht etwa feine »tanzenden Liebesgötter« zu Hampton-
Court zu den Landfchaften rechnen will, und felbft feine figürlichen Gemälde
find feiten.

Von dem halben Dutzend derfelben, welche die öffentlichen Sammlungen
befitzen, fleht an Bedeutfamkeit an erfter Stelle der »Prometheus an dem
Felfen« im Mufeum zu Lille (Nr. 632). Das Stück ift über einen Meter hoch
und dreiviertel breit und ftellt den Prometheus dar, der zur Strafe für feinen
Feuerraub an den Kaukafus gefchmiedet worden war, wo ein Adler feine
immer neu wachfende Leber ewiglich verzehren follte. Der mythifche Heros
liegt rücklings, das Plaupt herabhängend an einen Felfen gefeffelt, gierig ift
der Adler auf ihn zugeflogen und hat ihm die Klauen in den Unterleib und
in die Stirn gefchlagen, während er mit feinem krummen Schnabel die aus
der Bruft gezerrte Leber zerbeifst. Mit den ausgefpannten P'lügeln mifst
der Vogel in der Länge mehr als der Körper des Dulders. Auf der Höhe
des Felfens windet eine fchwere knorrige Eiche ihre braunen Aefte empor,
während in der Ecke links eine brennende Fackel an den Raub des Wag-
halfes erinnert. Die ganze Scene ift in kräftig braunem Ton gehalten, auch
die Behandlung des Lichts, welche die mächtigen Gliedmaffen des Helden,
wie auch das Gefieder des Adlers und den Stamm des Baumes beftrahlt ift
nicht minder kraftvoll. Alles athmet Gewalt und Kühnheit bis zur Verwegen-
heit. Ein wefentlich farbiger Theil ift ein blau und weifses Tuch, auf welchem
der Dulder liegt, und deffen voller Ton und helle Beleuchtung die Energie
des Ganzen erhöht.

In der Sammlung Leleux desfelben Mufeum findet man eine nackte

* H. Walpole: Anecdotes of painting. London. 1872. p. 1S7.
 
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