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Rooses, Max
Geschichte der Malerschule Antwerpens: von Q. Massijs bis zu den letzten Ausläufern der Schule P. P. Rubens — München, 1881

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https://doi.org/10.11588/diglit.20661#0478
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XIII. Die Periode des Verfalls.

doch fieht Alles erftaunlich gekiinftelt aus, fcheint fo recht akademifch und ift
zu zierlich gefucht, um einfach und zu einfach um künftlerifch zu fein. In der
Luft fchweben fünf Engelchen in verfchiedenen Haltungen. Eine breite Glorie
ftrahlt aus dem Himmel auf Maria nieder, fafrangelb oben, gelbgrau da, wo
fie Maria erreicht. Die Kammer ift mit einer blaugrauen Wolke gefüllt, die
Alles bis zum Dämmerigen duftig macht. Und nun die Farben! Maria trägt
ein weifses Unter- mit hellblauem Oberkleid, ihre fittig auf ihrer Stirne ge-
fcheitelten und glatt geftrichenen Locken find lichtbraun. Der Engel hat ein
hellgrünes Unter- und amaranthrothes Oberkleid, in allen Draperien ift kein
einziger voller Ton zu bemerken. Ihren höchften Triumph feiert jedoch diefe
Süfslichkeit im Nackten. Das kugelrunde Geficht Mariens fcheint nicht viel
fefter als Watte, die mit einer zuckerartigen Schicht von rofigen und milchigen
Tönen gepudert ift; der Engel ift gebaut wie ein Held und zeigt das Colorit
eines Jüngferchen, und während feine Arme von Muskelkraft Zeugnifs geben,
würde man fich nicht wundern, wenn fein Geficht mit der grauen Wolke, in
welcher man es wahrnimmt, verduftete. Die Engelchen oben find vergröfserte
Porzellainfiguren, leicht mit Kirfchenfaft getönt und in Atlas-Reflexen fchimmernd,
wie es felbft bei dem koketteften Flaummaler auf Sevres-Porzellain übertrieben
erfcheinen würden. Die allgemeine Süfslichkeit wird noch erhöht durch die
Rundlichkeit aller Formen : Köpfe und Arme, Gliedmafsen und Gelenke fcheinen
von der Drehbank zu kommen, und verrathen ein entnervtes Schönheitsgefühl,
welches allgemeines Verfchwemmen und Verzärtlichen für Gefälligkeit und
Harmonie hält, Freiheit und Wahrheit aber für Rohheit und Barbarei. Ueber-
triebene Rückfichtnahme auf theoretifche Kunftregeln, die das Heil in Ein-
fchniirung und Zuftutzung predigen, die Urfprünglichkeit als Uebertretung des
Gefetzlichen, und Natürlichkeit als Kunftlofigkeit verdammen, das ift es, was
diefs Werk von Lens wie die Erzeugnifse feiner Geiftesverwandten charakterifirt.

Es mufs jedoch zugegeben werden, dafs Lens die heidnifchen Darftellungen
beffer gelangen, als die chriftlichen. Seine »Ariadne von Bacchus getröftet«
und fein Bacchusopfer in der Gallerie neuer Werke zu Brüffel find, wenn auch
noch immer wolkig, vertrieben und ohne Fettigkeit, heiter von Ausfehen und
lieblich in der Bewegung. In gröfseren Compofitionen, wie in feinem »Eteokles
und Polynikos,« zeigt er die plaftifchen Formen und die heroifchen Bewegungen,
welche den Einflufs der claffifchen Kunft verrathen.

Es giebt dagegen vielleicht kein Werk, das die entartete Kunft Lens’
tiefer brandmarkt, als fein »Porträt des lvupferftechers P. F. Martenasie« im
Mufeum zu Antwerpen (Nr. 235). Es ift ein Kopf ohne Kraft der Zeichnung,
flau und flockig in der Farbe, wollig im Auftrag, und ohne irgend etwas von
den Merkmalen, welche den vlämifchen Porträtiften fo viele Jahrhunderte hin-
durch eigen waren, und ihren im Ausdruck immer fo treffenden wie in Licht
und Farbe kräftigen und energifchen Werken einen wohlverdienten Namen
erworben hatten.

Lens war in mehr als einer Hinficht ein Mann feiner Zeit. Er lebte in
den Jahren, in welchen Raphael Mengs und Winkelmann in Rom durch ihre
Schriften eine beffere Kenntnifs und eine neue Begeifterung für die grofsen
italienifchen Maler und für die griechifchen Bildhauer erweckt hatten; er war
ein Zeitgenoffe David’s, der die Vorliebe der franzöfifchen Republicanifch-
Gefinnten für Altrom in feine Gemälde übertrug, und fo liefs er fich durch die
herrfchende Richtung mitfortreifsen, liefs fich italianifiren, gallifiren, gräcifiren,
was man nur wollte und in jener Zeit anftrebte, als man lediglich einen Schein
von plaftifchen regelmäfsigen Formen, und von verfeinerten Empfindungen
für das Ziel der Kunft hielt. Diefe Cultivirtheit und conventioneile Würde
 
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