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Rooses, Max
Geschichte der Malerschule Antwerpens: von Q. Massijs bis zu den letzten Ausläufern der Schule P. P. Rubens — München, 1881

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https://doi.org/10.11588/diglit.20661#0504
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Hendrik Leys.

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flüffigem Gold auf den Grund zeichnet; oben herrfcht dämmeriges Dunkel,
unten warmes aber glanzlofes Licht. Die Figuren der Armen find gemtithlich
in der Art Braekeleer’s aufgefafst, die der Reichen romantifch aufgeputzt. Der
Gegenftand erfcheint ganz unbedeutend, die Compofition ift lofe, die Farbe
warm aber dunftig und unentfchieden. Leys taftete damals noch nach feinem
Wege, unficher, ob er Genre- oder Hiftorienmaler werden follte, ob er der
Wirklichkeit oder der Fantafie folgen follte, aber augenfcheinlich bereits mehr
zur letzteren hinneigend. Schon in diefem erften gröfseren Werke aber zeigt
er jene noch weit über Wappers und felbft wohl über natürlichen Lichteffekt
gehende Wärme des Tons , die jedenfalls von einer glücklichen Rückwirkung
gegen die kalte und matte Malerei des 18. Jahrhunderts und der David’fchen
Schule Zeugnifs gibt.

Die »Herftellung des Gottesdienftes in der Frauenkirche zu Antwerpen,«
welche die Jahrzahl 1845 trägt, läfst fchon grofse Fortfehritte in derfelben
Richtung gewahren. Es fteigert fich die Pracht des Beiwerks und das Streben
nach malerifcher Auffaffung bereits wefentlich. Die Kirche zunächft mit ihren
fich phantaftifch durchfchneidenden Gewölben und Pfeilern, die kunftvolle Aus-
ftattung, das Chorgeftühle im Renaiffanceftyl, die gothifchen Kirchenftühle der
Kanzel gegenüber, die Kandelaber, Kniebänke, das Taufbecken, kurz Alles ift
mit Vorliebe beobachtet und wiedergegeben. Auch der Lichteffekt ift kräftiger:
durch die hohen Fenfter ergiefst fich ein Strom von filberigen Sonnenftrahlen
mit blonden Reflexen; auf jedem Kopf, jeder Kleiderfalte, auf dem Paviment
und auf den Kirchengeräthen funkelnd verbreitet er hier hellen Tag, und blendet
dort Farbe und Form verzehrend in weifsem Glanze, gelegentlich in den Maffen
einen rothen Fleck heraushebend und unter den weiten Bogen in allmälig ab-
gefchwächtem Wiederfchein hinfterbend.

Auch das Studium der Menfchen hat fehl" gewonnen. Die Scene ftellt
eine Predigt dar, welche Gelegenheit gab, jeder Figur einen befonders ftudirten,
gleichfam auf frifcher That ertappten Ausdruck zu verleihen. Gläubige, Denker,
Träumer, Gecken und gemeines Volk, alle möglichen Anwohner von Predigten
find in ihrer charakteriftifchen Eigenart zur Schau geftellt. Der Prediger ift
ein Fanatiker, der von feiner leidenfchaftlichen Schwärmerei verzehrt wird,
und in der Welt nichts fleht als die Kirche, für welche er allein eifert.

Eine neue Richtung finden wir in dem »Seelengottesdienft für Barthel
de Haze« vom Jahre 1854. Hier ift Alles viel ftrenger aufgefafst, nichts mehr
geopfert um dem Auge zu fchmeicheln, im Gegentheil die Ungekünfteltheit
durch eine fo einfache Anordnung erftrebt, dafs fie obwohl voll Kunft bis an
Unfchönheit ftreift. Die Farbe hat die Oberhand über das Licht erlangt. Das
Letztere ift gedämpft und abgefchwächt, die erftere dagegen viel kräftiger und
voller geworden. Faft jede Perfon trägt Kleider, deren verfchiedene Farben
in hohen Tönen gegeben find, oder eintönige mit vollen Tinten. Dabei ift
Alles mit weit gehender Gewiffenhaftigkeit beobachtet: Jahrhundertelang pflegten
unfere Maler Gewänder und Gegenftände zu malen, von welchen man feiten
die Natur des Stoffes errathen konnte; Leys ftrebte darnach Alles ganz in
feiner eigenartigen Erfcheinung zu geben, und es gelang ihm in iiberrafchender
Weife. Und nicht blofs die leblofen Dinge erhielten ihr eigenes naturgemäfses
Gepräge, fondern den Geräthen, Gebäuden und auch den Menfchen ift der
Stempel der entfprechenden Zeit tief aufgedrückt. Es ift wie eine Wiederer-
weckunsf der Sitten der Vorzeit und der altväterifchen Geftalten, die aus den

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Gemälden von Maffys und Holbein herauszutreten fcheinen, um unferm modernen
Meifter Modell zu flehen.

Das vierte Stück, welches das Mufeum zu Brüffel von Leys befitzt, ift
 
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