Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Rooses, Max
Geschichte der Malerschule Antwerpens: von Q. Massijs bis zu den letzten Ausläufern der Schule P. P. Rubens — München, 1881

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.20661#0507
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
472

XIV. Die Antwerpifche Malerfchule im 19. Jahrhundert.

Vieh mit fich fort. Die Gruppen find voll Bewegung, die Perfonen voll Aus-
druck, Licht und Farbe ift kräftig und wahr. Dasfelbe Mufeum befitzt von
Lies auch noch ein grofses Gemälde mit dem Titel »Die Gerechtigkeit des
Boudewijn Hapkin,« in welchem zwar ebenfalls die feelifchen Empfindungen
auf packende Weife dargeftellt find, das aber in Hinficht auf Farbe und
Harmonie unter dem vorigen fleht. In diefem Werke hat Lies ganz der
gefchichtlichen Genauigkeit feines Meifters nachgeftrebt, zugleich mit deffen
Richtung nach voller Farbe, die fich in fcharf abgegrenzten Flecken über die
ganze Leinwand ausbreitet.

Es ift merkwürdig zu beobachten, wie die Antwerpenfche Schule in den
jüngften ihrer Hiftorienmaler zu den friiheften ihrer Meifter zurückkehrte.
Ueber die Italianiften hinweg fuchen Leys und Lies wieder die Spuren eines
Mafsijs und Pieter Brueghel. In Reaction gegen die verfchönernde Tendenz
der Italienifchgefinnten und der Nachfolger des Rubens ftreben fie nach Wahr-
heit auf Koften der Schönheit, find aber infoferne Kinder ihrer Zeit geblieben,
als fie anftatt der religiöfen Gegenftände, wie fie die Ueberlieferung feftgeftellt
hat, fich Aufgaben aus der vaterländifchen Gefchichte erwählten, und diefe
mit dem Geifte kritifcher Gefchichtsforfcher und mit dem Gefühl für maler-
ifche Schönheit behandeln, wie diefs die Gegenwart charakterifirt.

Auch in der Landfchaft zeichnet fich die vlämifche Schule nicht minder
aus, wie irgend eine andere. Der Antwerpener kann fich glücklich fchätzen,
fagen zu können, dafs feine beften Landfchaftsmaler noch am Leben find, und
er mag nur wiinfehen, dafs fie noch lange Jahre warten möchten, ehe fie aus
der Mitte der Lebenden in die Gefchichte übergehen. Unter denen aber, die
bereits entrückt find, genügt es den Namen GuSTAAF PlERON (1824—1864)
zu nennen. Das Antwerpen’fche Mufeum befitzt von ihm ein paar Land-
fchaften, aus welchen uns der erfrifchende Hauch wahrer Natur entgegen weht,
breit, wie die Natur felbft, und von überwältigender Schönheit, wie fie immer
fein wird, wenn der Künftler fie nicht durch Verfchönerungsverfuclie kalt und
falfch macht.

Es bedarf fchliefslich keiner weiteren Ausführung, dafs neben der
Hiflorien- und Landfchaftsmalerei jedes andere Fach auch feine Vertreter fand.
Wer wüfste nicht, dafs die Genremalerei ernfter wie launiger Richtung, dafs
die Thier-, Blumen- und Marinemalerei ebenfo talentvoll geübt wurden und
werden? Da jedoch für die jüngfte niederländifche Schule fowohl was deren
Mitglieder als was ihre Werke betrifft die Stunde der Gefchichte noch nicht
gefchlagen hat, fo wollen wir lieber es der Zukunft überlaffen, das fortzufetzen,
was zur Stunde unabgefchofsen bleiben mufs, und hoffentlich, wenn nicht alle
Anzeichen einer langdauernden Bliithenperiode trügen, noch lange bleiben wird.
 
Annotationen