Vorwort
te Entwicklungsgeschichte der Rezeption. Einer-
seits sind die Unterschiede der Interpretationen
von Zeitgenossen auffallend groß, andererseits
fallen sie zwischen Texten und Zeichnungen
überraschend deutlich aus: Interpretationen
werden unmittelbar von dem Medium bedingt,
in dem sie zum Ausdruck kommen und die
historische Entwicklung dieser Medien übt
einen wesentlichen Einfluß auf die Geschichte
von Interpretationen aus.1 So läßt sich eine for-
male Betrachtung der Skulpturen in den Be-
schreibungen erst seit dem 18. Jahrhundert
nachweisen; Zeichnungen bringen dagegen
bereits im 16. Jahrhundert eine solche Interpre-
tation unmißverständlich zum Ausdruck. In der
Sprache der Kunstbeschreibung haben sich erst
allmählich die hierzu notwendigen Ausdrucks-
möglichkeiten herausgebildet. Die Untersuchung
der Rezeptionsgeschichte der Skulpturen an-
hand eines einzigen Rezeptionsmediums, der Be-
schreibungen oder der Nachzeichnungen, wäre
jeweils zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen
gelangt. Die vorliegende komparative Analyse
zeigt dagegen, daß die Interpretationsgeschich-
te vielfach aus einer Differenzierung und Ver-
tiefung jener Sichtweisen besteht, die bereits zu
Lebzeiten Michelangelos nachgewiesen werden
können, und daß diese Geschichte im wesent-
lichen der Entwicklung der Rezeptionsmedien,
der Bereicherung ihrer Ausdrucksfähigkeit,
verdankt.
Die Geschichte der Neuen Sakristei während
der Erbauung, also seit 1519, ist vielfach disku-
tiert worden. Nur wenig ist dagegen für die
Zeit nach September 1534 bekannt, als die
Kapelle durch den Tod ihres Auftraggebers,
Clemens VII., unvollendet blieb. Eine chrono-
logische Übersicht im Anhang stellt erstmals
die Geschichte der Kapelle bis zum 20. Jahr-
hundert vor und belegt den Wandel vom Mau-
soleum zum Museum.
Ebenfalls im Anhang sind die Beschreibun-
gen der Medicigräber chronologisch aufgelistet
und die Nachzeichnungen von Skulpturen
Michelangelos katalogisiert. Diese Verzeichnis-
se erschließen zahlreiche bisher unveröffent-
lichte Quellen zur Geschichte der Rezeption
der Skulpturen Michelangelos und können zur
Überprüfung hier geäußerter Thesen dienen.
Es sind nun zehn Jahre vergangen, seitdem ich
begonnen habe, mich mit dem Thema dieses
Buches zu befassen. Der erste Anlauf war eine
1990 in München eingereichte Magisterarbeit,
ein zweiter meine Baseler Dissertation von
1996. Diese erscheint hier in überarbeiteter
Form. Die seitdem veröffentlichte Sekundär-
literatur wurde punktuell eingearbeitet. Zahl-
reiche Freunde und Bekannte, die in den ver-
gangenen Jahren die Bereitwilligkeit hatten,
mir Fragen zu stellen und die Geduld, mir
zuzuhören, haben entscheidend geholfen, das
Vorhaben zu formulieren und viele Anregun-
gen beigesteuert. Danken möchte ich an erster
Stelle meinem Doktorvater Gottfried Boehm
und meinem Magistervater Bernhard Schütz,
die stets ein offenes Ohr für die sich erst all-
mählich konkretisierenden Gedanken hatten.
Meine Frau Heidrun hat mich durch Höhen
und Tiefen täglich begleitet und unterstützt.
Ihr skeptisches Nachfragen war Anlaß ent-
scheidender Überprüfungen und Ergänzungen.
Die Arbeit wurde von Anfang an durch
Gespräche mit Gerd Blum inspiriert. Christine
Gangl, Georg Imdahl, Bernd Kleimann und
Wilhelm Schlink haben das Manuskript einge-
NB: Kapitälchen verweisen auf das Literaturverzeichnis
im Anhang. Die Jahreszahlen in eckigen Klammern
bezeichnen das Datum der ersten Veröffentlichung oder
- bei posthumen Publikationen - die Entstehungszeit
des Textes. Römische Zahlen nach dem Komma stehen
für die Bandzählung, arabische Zahlen für die zitierte(n)
Seite(n).
Die hiermit implizierte Geschichte von Rezeptionsmedi-
en unterscheidet sich von der Mediengeschichte, wie sie
etwa Kittler [1985] vorgenommen hat, insofern nicht
die Folge von Informationssystemen, sondern die Verän-
derung einzelner Medien untersucht wird. In dieser Hin-
sicht ist das Rezeptionsmedium der literaturwissen-
schaftlichen >Gattung< vergleichbar [siehe die seit den
1970er Jahren geführte Diskussion um eine Gattungs-
theorie, bes. Jauss 1972 und Köhler 1977]. Die ange-
strebte Betrachtungsgeschichte besitzt darüberhinaus
Ähnlichkeiten mit literaturwissenschaftlichen Ansätzen
te Entwicklungsgeschichte der Rezeption. Einer-
seits sind die Unterschiede der Interpretationen
von Zeitgenossen auffallend groß, andererseits
fallen sie zwischen Texten und Zeichnungen
überraschend deutlich aus: Interpretationen
werden unmittelbar von dem Medium bedingt,
in dem sie zum Ausdruck kommen und die
historische Entwicklung dieser Medien übt
einen wesentlichen Einfluß auf die Geschichte
von Interpretationen aus.1 So läßt sich eine for-
male Betrachtung der Skulpturen in den Be-
schreibungen erst seit dem 18. Jahrhundert
nachweisen; Zeichnungen bringen dagegen
bereits im 16. Jahrhundert eine solche Interpre-
tation unmißverständlich zum Ausdruck. In der
Sprache der Kunstbeschreibung haben sich erst
allmählich die hierzu notwendigen Ausdrucks-
möglichkeiten herausgebildet. Die Untersuchung
der Rezeptionsgeschichte der Skulpturen an-
hand eines einzigen Rezeptionsmediums, der Be-
schreibungen oder der Nachzeichnungen, wäre
jeweils zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen
gelangt. Die vorliegende komparative Analyse
zeigt dagegen, daß die Interpretationsgeschich-
te vielfach aus einer Differenzierung und Ver-
tiefung jener Sichtweisen besteht, die bereits zu
Lebzeiten Michelangelos nachgewiesen werden
können, und daß diese Geschichte im wesent-
lichen der Entwicklung der Rezeptionsmedien,
der Bereicherung ihrer Ausdrucksfähigkeit,
verdankt.
Die Geschichte der Neuen Sakristei während
der Erbauung, also seit 1519, ist vielfach disku-
tiert worden. Nur wenig ist dagegen für die
Zeit nach September 1534 bekannt, als die
Kapelle durch den Tod ihres Auftraggebers,
Clemens VII., unvollendet blieb. Eine chrono-
logische Übersicht im Anhang stellt erstmals
die Geschichte der Kapelle bis zum 20. Jahr-
hundert vor und belegt den Wandel vom Mau-
soleum zum Museum.
Ebenfalls im Anhang sind die Beschreibun-
gen der Medicigräber chronologisch aufgelistet
und die Nachzeichnungen von Skulpturen
Michelangelos katalogisiert. Diese Verzeichnis-
se erschließen zahlreiche bisher unveröffent-
lichte Quellen zur Geschichte der Rezeption
der Skulpturen Michelangelos und können zur
Überprüfung hier geäußerter Thesen dienen.
Es sind nun zehn Jahre vergangen, seitdem ich
begonnen habe, mich mit dem Thema dieses
Buches zu befassen. Der erste Anlauf war eine
1990 in München eingereichte Magisterarbeit,
ein zweiter meine Baseler Dissertation von
1996. Diese erscheint hier in überarbeiteter
Form. Die seitdem veröffentlichte Sekundär-
literatur wurde punktuell eingearbeitet. Zahl-
reiche Freunde und Bekannte, die in den ver-
gangenen Jahren die Bereitwilligkeit hatten,
mir Fragen zu stellen und die Geduld, mir
zuzuhören, haben entscheidend geholfen, das
Vorhaben zu formulieren und viele Anregun-
gen beigesteuert. Danken möchte ich an erster
Stelle meinem Doktorvater Gottfried Boehm
und meinem Magistervater Bernhard Schütz,
die stets ein offenes Ohr für die sich erst all-
mählich konkretisierenden Gedanken hatten.
Meine Frau Heidrun hat mich durch Höhen
und Tiefen täglich begleitet und unterstützt.
Ihr skeptisches Nachfragen war Anlaß ent-
scheidender Überprüfungen und Ergänzungen.
Die Arbeit wurde von Anfang an durch
Gespräche mit Gerd Blum inspiriert. Christine
Gangl, Georg Imdahl, Bernd Kleimann und
Wilhelm Schlink haben das Manuskript einge-
NB: Kapitälchen verweisen auf das Literaturverzeichnis
im Anhang. Die Jahreszahlen in eckigen Klammern
bezeichnen das Datum der ersten Veröffentlichung oder
- bei posthumen Publikationen - die Entstehungszeit
des Textes. Römische Zahlen nach dem Komma stehen
für die Bandzählung, arabische Zahlen für die zitierte(n)
Seite(n).
Die hiermit implizierte Geschichte von Rezeptionsmedi-
en unterscheidet sich von der Mediengeschichte, wie sie
etwa Kittler [1985] vorgenommen hat, insofern nicht
die Folge von Informationssystemen, sondern die Verän-
derung einzelner Medien untersucht wird. In dieser Hin-
sicht ist das Rezeptionsmedium der literaturwissen-
schaftlichen >Gattung< vergleichbar [siehe die seit den
1970er Jahren geführte Diskussion um eine Gattungs-
theorie, bes. Jauss 1972 und Köhler 1977]. Die ange-
strebte Betrachtungsgeschichte besitzt darüberhinaus
Ähnlichkeiten mit literaturwissenschaftlichen Ansätzen